Hasret: Sehnsucht

Eine Filmkritik von Sonja Hartl

My Istanbul

Hasret – Sehnsucht beginnt mit dokumentarisch anmutenden Aufnahmen aus dem Inneren eines Containers. Darin sind aber keine Flüchtlinge unterwegs, die in Europa auf ein sicheres Leben hoffen, sondern die Crew eines Low-Budget-Films, die sich keine andere Anreise in die Türkei leisten konnte. Sie soll in und über Istanbul einen Film für das deutsche Fernsehen drehen. Doch von Anfang an schwelen die schwärmerischen Stimmen der Hafenarbeiter, die betonen, früher oder später verfalle jeder dem Zauber dieser Stadt, wie eine leise Drohung durch diesen Film.
Tatsächlich entwickelt sich Istanbul immer mehr zu einem Sehnsuchtsort insbesondere des namenlosen Regisseurs (Ben Hopkins), der seine Crew durch diesen Film steuert. Er will das wahre und echte Istanbul finden, deshalb beginnt er für die Dreharbeiten zu dem Dokumentarfilm an den berühmten Orten, schon bald zieht es ihn aber zunehmend zu den dunklen, rätselhaften Seiten der Stadt. Er versucht dem Geheimnis des Mülls nahezukommen und verschwindet auf Geistersuche im alten Istanbul. Dabei wird seine Erforschung der Stadt zugleich zu einer Reise in die Geschichte und Gegenwart Istanbuls. Er spürt der Diskriminierung der armenischen Minderheiten nach, indem er Vororte filmt, weist auf verschwenderische Bauvorhaben hin, die alteingesessene Bewohner vertreiben und leer stehende Apartmenthäuser an ihre Stelle setzen, zeigt die Folgen der Gentrifizierung und sucht anhand von Graffiti die Orte der Gezi-Proteste auf. Je mehr er aber über Istanbul erfährt, je mehr er in diese Stadt versinkt, desto tiefer dringt er auch in sich selbst vor und beginnt sich zu verlieren.

Als der Regisseur auf den Aufnahmen dann plötzlich Schatten und Gestalten bemerkt, die ihn zu der Annahme verleiten, er habe die Geisterwelt aufgezeichnet, verfällt er dieser Idee immer mehr. Deshalb steht die Arbeit zu dem Dokumentarfilm nur am Anfang dieses Films, in dem sich in zwölf Kapiteln das Dokumentarische und Fiktionale, das Wache und Träumerische immer mehr mischen. Istanbul, die Stadt der Geister und Katzen, wird zum Sinnbild der Melancholie des Regisseurs, deshalb droht auch er – wie es eine Vorsehung besagt – nach 99 Tagen nicht mehr in der Lage zu sein, Istanbul zu verlassen.

Über weite Strecken der 82 Minuten ist Hasret – Sehnsucht ein interessantes Filmessay, das dem Reiz Istanbuls auf sinnliche Weise näherkommt. Allerdings durchzieht den Film eine selbstbezogene Grundhaltung, die insbesondere in den vielen Off-Kommentaren auffällt, in denen mit zunehmender Laufzeit immer mehr die Schaffenskrise des Regisseurs thematisiert wird. Ohnehin sind es häufig die Worte, die den Bildern Bedeutung verleihen. Hier wäre eine größere Subjektivität auch in der Visualität wünschenswert gewesen.

Indem sich Hasret – Sehnsucht aber einer klaren Einordung als Dokumentar- oder Spielfilm entzieht, spiegelt der Film die Besonderheit von Istanbul wider, die immer wieder als Stadt der Gegensätze porträtiert wird. So wird der Film ebenso eigensinnig wie die (fiktiven) Bewohner der Stadt, mit denen der Regisseur spricht: einem Sufi-Derwisch, der ein Café für Liebende und Verrückte betreibt, einem Historiker, der mit Geistern telefoniert und in Katzen die Gottheiten einer vergangenen Zeit sieht, die heimlich über die Stadt herrschen, weil sie den Möwen die „Luftüberwachung“ überlassen haben. Und es sind diese Gespräche und Gedanken, die von Hasret – Sehnsucht in Erinnerung bleiben.

Hasret: Sehnsucht

„Hasret – Sehnsucht“ beginnt mit dokumentarisch anmutenden Aufnahmen aus dem Inneren eines Containers. Darin sind aber keine Flüchtlinge unterwegs, die in Europa auf ein sicheres Leben hoffen, sondern die Crew eines Low-Budget-Films, die sich keine andere Anreise in die Türkei leisten konnte. Sie soll in und über Istanbul einen Film für das deutsche Fernsehen drehen.
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