Die Frage ließe sich an die Produzenten der Hanni & Nanni-Trilogie weitertragen, mit der Bitte aus den Kasseneinnahmen der vorigen Teile, die gemeinsam rund zwei Millionen Zuschauer anlockten, Abfindungen an alle Begleitpersonen zu zahlen, die den knalligen Popfilm kindlichen Fans zuliebe mitansehen. Vermutlich ein aussichtsloses Unterfangen, setzen doch die Filmemacher in jeder Hinsicht auf Gewinnmaximierung. Gespart wurde augenscheinlich nicht nur am intellektuellen Gehalt des Unterhaltungsfilms, sondern an Statisten, authentischen Requisiten und realistischen Sets, offenbar sogar am Papier für das dünne Drehbuch. Der romantische und schauspielerische Konkurrenzkampf der Zwillinge untereinander und mit ihrer Erzfeindin Daniela (Nele Guderian) wegen einer Schulaufführung von Romeo und Julia und der mit Teacher Mr. Gordon (Justus von Dohnányi) aus England angereisten Jungenklasse endet nach bewährtem Muster: mit Kollektivversöhnung und einem Song, der die „eigenen Ideen“ der von der plötzlichen Koedukation aufgewühlten Theatertruppe feiern soll.

Stattdessen tut die „coole Dance-Nummer“, die Hannis und Nannis Cousine Lilly (Louisa Spaniel) aus Shakespeare macht, das Gegenteil. Eine von den in Neon-Tanktops gekleideten Kindern aufgeführte Choreografie von Detlef D! Soost, dessen „D!´s Kids Club“ und „Start to Dance“-DVD Film und Pressematerial heftig bewerben, wirkt steifer und konventioneller als die elisabethanische Probeinszenierung von Mademoiselle Bertoux. „Peinlich ist es nur, wenn man es nicht kann!“, erklärt sie und verrät, dass auch im heutigen Lindenhof Intoleranz und Borniertheit regieren wie bei Blyton. Ganz in ihrem Sinne wäre wohl die vertrocknete Prüderie, die das Wort „geknutscht“ so skandalös klingen lässt, dass man sich fragt: Ist jetzt eines der Mädchen schwanger? Keine Panik, die Zwillinge und ihr Schwarm Clyde (Leopold Klieeisen) dürfen nichtmal Händchen halten, genauso wenig wie Direktorin Frau Theobald (Hannelore Elsner) und deren alter Verehrer (Konstantin Wecker), der auf dem Dachboden herumgeistert. Dafür gibt es während der Schauspielproben, von denen übrigens auch die jungen Filmdarsteller mehr benötigt hätten, einen Kuss zwischen Mademoiselle Bertoux und Nanni.

Mädchen, die Mädchen küssen? Igittigitt, finden die Zwillinge und die Filmemacher, die zur Beruhigung aller erzkonservativen Eltern Frau Mägerlein (Suzanne von Borsody) verkünden lassen: „Grenzüberschreitungen werden auf das Härteste bestraft!“ Dem sturen Moralbegriff der Vorlage bleibt die mehr deformierte statt modernisierte Adaption so treu wie dem obsoleten Rollenbild. Die wahlweise als „frech“, „schüchtern“, „quirlig“ oder „zickig“ herausgeputzten Schülerinnen leben in einer buchstäblichen Mädchenwelt aus rosa Glitzerschminke, Verkleiden und Eifersüchteleien. Letztere bedrohen angesichts der Romeos in Schuluniformen im Brit-Chic sogar die Schwesternliebe der Zwillinge. „Am Ende wissen sie aber, was wirklich zählt im Leben“, versichert das Presseheft, das den trotz Inhaltsarmut überhastet wirkenden Klischeekatalog schier zum Lehrfilm erhebt. „Die Abenteuer der Mädchen sind sehr unterhaltsam, gleichzeitig spiegeln sie auch die Grundsätze des gesellschaftlichen Umgangs wider: Werte wie Verantwortungsbewusstsein, Loyalität und Solidarität werden in Lindenhof täglich vorgelebt.“

Daniela übernimmt Verantwortung für ihr Untalent und verzichtet auf die Rolle der Julia, Frau Theobald steht loyal zu ihrem abgebrannten Jugendschatz und engagiert ihn als Chefkoch. Vorweg feuert Schulköchin Daphne Diehl (Barbara Schöneberger) solidarisch ihr unfähiges ausländisches Küchenpersonal. So freuen sich zur Abschlussfeier alle über Götterspeise und belegte Brötchen. Manche Standardkreationen funktionieren einfach immer, ob kulinarisch, literarisch oder filmisch. Auch wenn das nicht allen schmeckt.