Hannas schlafende Hunde (2016)

Eine Filmkritik von Harald Mühlbeyer

Judesein ist ein Unglück

Österreich ist von Nazis durchsetzt. Das dürfte sich inzwischen eigentlich herumgesprochen haben. Wie zum Beweis verfilmt Andreas Gruber den autobiographischen Roman von Elisabeth Escher: In Hannas schlafende Hunde gerät die zehnjährige Hanna in Angst- und Identitätskrisen, denn ihre Familie ist jüdisch. Und lebt im Feindesland, damals, im oberösterreichischen Wels des Jahres 1967.

Gruber erzählt aus der Perspektive des Kindes. Sein Film ist ein Herantasten an das Familiengeheimnis, das wohl gehütet sein will: Denn es ist besser, unter dem Radar zu bleiben, nicht aufzufallen, sich keinesfalls irgendeine Blöße zu geben. Darauf ist Hannas Mutter besonders bedacht: Ihr angstbesetztes Trauma bestimmt das Leben der Familie, die nur zum Sonntagsgottesdienst unter die Leute geht, sich ansonsten aber abgrenzt. Weil sie von allen anderen ausgegrenzt wird. In der Tat: Hanna widerfährt Merkwürdiges. Der Herr Bankdirektor a.D. lädt sie freundlich zu Himbeersaft und zu einer Autofahrt ein. Der Hausmeister ist bösartig und will, dass sie zu ihm ganz lieb ist, unten, im Kellerverschlag. Die Religionslehrerin putzt sie herunter und lässt sie beim Kameradschaftsabend der alten Kriegsveteranen vorsingen. Die Mutter kann nicht helfen. Verhindert aber, dass Hanna und ihr Bruder an einem Liederwettbewerb der katholischen Jugend teilnehmen, denn das könnte Aufmerksamkeit erregen.

Es geht um Schuld und Traumata, um Opfer und Täter, um das Anpassen an eine feindliche Gesellschaft, um das Weitervererben von lähmender Angst. Das Konzept der Erbsünde wird den Kindern von klein auf eingetrichtert; das Leiden ist ins Leben eingepflanzt. Denn das Perfide ist: Den Opfern des Nationalsozialismus wird die Schuld gegeben, die damaligen Täter sehen sich als Opfer, eine Umkehr der Verhältnisse – lediglich die Tatsache, dass der Hass auf die Juden nicht mehr offizielle Politik des Staates ist, macht den Unterschied zum „Dritten Reich“ aus. Der Hass ist da. Und ist gesellschaftlich wenn nicht gewünscht, so doch allgemein akzeptiert.

Dies aus der Kinderperspektive zu erzählen, ist ein interessanter Kniff. Stück für Stück führt uns der Film ein in dieses gesellschaftliche Klima, zusammen mit Hanna erfahren wir mehr und mehr von ihren Lebensumständen. Aus dem Kleinen heraus entfaltet sich das große Bild; und Nike Seitz, die Hanna als ihre erste große Filmrolle spielt, durchschreitet es souverän. Unterstützt von einer Schauspielriege der großen Namen: Franziska Weisz als innerlich gelähmte Mutter, Christian Wolff, der Falkenau-Förster, als ach so freundlicher Bankdirektor, Johannes Silberschneider als so verständnisvoller wie hilfloser Priester. Und Hannelore Elsner als blinde Großmutter, die als einzige klar sieht, die mit ihren Kommentaren den gesunden Menschenverstand verkörpert. Eine blinde Seherin, eine Kassandra, deren Weisheiten zu einem besseren, sprich: selbstbestimmteren, freieren, selbstbewussteren Leben lange, fast zu lange ungehört bleiben.

Nun liegt die Krux des Films nicht in Thema und Erzählhaltung, sondern in der Erzählweise. Gleich die ersten Szenen sind so voll offensichtlicher Symbolik, dass der Film, der sich um Schweigen und Geheimnis dreht, vollkommen offen vor einem liegt. Der Hausmeister vergast mit dem Auspuff seines Motorrollers die Maulwürfe im Garten. In der Sonntagsmesse wird vom Schweigen und vom Warten auf den lieben Gott gesungen. Ein Bauarbeiter malt einen gezackten Pfeil auf die Straße, einer Siegesrune nicht unähnlich; dann wird die Straße aufgerissen, enthüllt die Vergangenheit: Frauenkleidung, ein verrostetes Gewehr und eine Fliegerbombe. Wenn die hochgeht, geht auch der Hausmeister hoch: Diese Kriegsverbrecher! Hinter dem Gartenhäuschen liegt ein wilder Hund an der Leine, der ist aber nur so böse, weil er nicht frei laufen kann.

Überhaupt sind die Nazis alle so richtig böse, nicht nur politisch: Der eine – Hannas Onkel – schlägt Frau und Kind grün und blau, eine Scheidung kommt nicht in Frage, was würden die Leute reden! Andere sind Vergewaltiger, Sadisten, Kinderschänder. Demütigung, Ausbeutung, Feindseligkeit im moralischen wie im sexuellen Bereich sind an der Tagesordnung; und natürlich hat die Oma ihr Augenlicht verloren durch die hasserfüllte Ausgrenzung damals, in jenen bösen Jahren, die noch immer nicht vorbei sind.

Das wirkt alles zu gediegen, zu arrangiert: Der Vater macht das Küchenradio genau zum richtigen Zeitpunkt an, wenn dort das eingereichte Lied der Kinder erklingt. Und andererseits nimmt sich der Film zugleich zurück: Beim Kameradschaftsabend singen die Veteranen im Chor das Horst-Wessel-Lied, man sieht ihre Münder – der Liedtext aber wird verschämt von den Klängen der begleitenden Trompeten weitestgehend übertönt.
 

Hannas schlafende Hunde (2016)

Österreich ist von Nazis durchsetzt. Das dürfte sich inzwischen eigentlich herumgesprochen haben. Wie zum Beweis verfilmt Andreas Gruber den autobiographischen Roman von Elisabeth Escher: In „Hannas schlafende Hunde“ gerät die zehnjährige Hanna in Angst- und Identitätskrisen, denn ihre Familie ist jüdisch. Und lebt im Feindesland, damals, im oberösterreichischen Wels des Jahres 1967.

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