Göttliche Lage

Eine Filmkritik von Bianka Piringer

Wohnen mit Seeblick im Arbeiterviertel

Zwei Gespenster geistern durch Städte ehemaliger Industrieregionen: Verwahrlosung und Gentrifizierung. Für ihren Dokumentarfilm Göttliche Lage, der auf dem Münchner Dokfest 2014 uraufgeführt wurde, begleiteten Ulrike Franke und Michael Loeken ein Stadtentwicklungsprojekt in Dortmund fünf Jahre lang mit der Kamera. Auf dem Gelände eines ehemaligen Stahlwerks im Arbeiterviertel Hörde entsteht rund um den neu angelegten Phoenix-See eine Siedlung mit hochwertigen Häusern und Bürogebäuden. Die Planer der städtischen Entwicklungsgesellschaft entwerfen hier ein neues Image von Dortmund: wohlhabend, lichtdurchflutet, freizeitorientiert soll ihre Stadt der Zukunft sein. Sie sind zuversichtlich, dass die Siedlung die Qualität des gesamten lokalen Immobilienmarkts verbessern wird. Aber noch ist ihnen die an die Baustelle angrenzende Weingartenstraße mit ihren heruntergekommenen Mietshäusern aus der Gründerzeit ein Dorn im Auge. Sie befürchten, gutsituierte Kaufinteressenten könnten von der armen Nachbarschaft abgeschreckt werden.
Tatsächlich prallen an der Großbaustelle zwei Welten aufeinander. Die Projektentwickler schwärmen auf Besucherführungen von der Lebensqualität am See. In einer Sitzung debattieren sie über die Architektur der künftigen Häuser: Werden sich die Anhänger des Bauhausstils mit der toskanischen Fraktion, die mehr auf Terrakotta steht, vertragen? Wer hierher ziehen will, „muss es sich leisten können“, meint der Stadtteilpolizist, der auf die Baustelle hinabblickt. Auf seinen Rundgängen in der Weingartenstraße passt er auf, dass eingeschlagene Fensterscheiben an verlassenen Wohnungen gesichert werden, schon wegen der Schulkinder. Ein Anwohner sagt: „Wir sind die Bronx, wir sind seit Jahrzehnten kaputtgemacht worden.“

Die Regisseure arbeiten den Kontrast der beiden Milieus durch ständige Schnitte zwischen den Schauplätzen heraus. Kommentarlos fangen sie auch geradezu satirische Situationen ein. Der Heimatverein liegt mit der Phoenix-See-Entwicklungsgesellschaft wegen der Thomasbirne im Clinch: Der Konverter aus einer ehemaligen Kesselschmiede ist mit seinen handgearbeiteten Nieten für den Verein ein wichtiges Industriedenkmal. Er soll öffentlich ausgestellt bleiben, damit ihn die Menschen anfassen können. Die Siedlungsplaner aber wollen die Thomasbirne in den Phoenix-See setzen und sie halb versinken lassen – als Symbol für die untergegangene Industrie.

Bescheidenheit ist die Sache der Marketingleute nicht: Selbstbewusst lassen sie auf der Feier zur Flutung des Sees Larry Hagman den Wasserhahn aufdrehen. Der mittlerweile verstorbene Darsteller mit dem Cowboyhut verkörperte als fieser Ölbaron J.R. Ewing in der Fernsehserie Dallas den skrupellosen Kapitalisten. Bald schon müssen die Planer ihre Reißbrett-Siedlung vor der Natur und vor sozialer Durchmischung schützen: Badegäste, Grillfreunde und Jugendliche, die Bier trinken, sind unerwünscht. Auch die Wasservögel, die sich schnell einfinden, stören.

Die Filmemacher legen es anscheinend gar nicht darauf an, solche entlarvend komischen Momente einzufangen. Unter den Zaungästen der Baustelle hören sie auch Stimmen, die die Siedlung als willkommene Aufwertung des Viertels begrüßen. Und als dann die ersten Bewohner einziehen, spricht aus ihren Worten die Vorfreude. Als Zuschauer verlässt man diesen spannenden, sehr informativen Dokumentarfilm ein bisschen schlauer und kommt ins Grübeln. Warum muss die Stadt denn unbedingt eine Luxussiedlung bauen und wird sie andernorts auch noch für günstigen Wohnraum sorgen? Womöglich bedeutet Strukturwandel nichts anderes, als dass die ehemaligen Arbeiter erst einmal fortziehen sollen und später wieder willkommen sind, wenn sie als Büromenschen anständig Geld verdienen.

Göttliche Lage

Zwei Gespenster geistern durch Städte ehemaliger Industrieregionen: Verwahrlosung und Gentrifizierung. Für ihren Dokumentarfilm „Göttliche Lage“, der auf dem Münchner Dokfest 2014 uraufgeführt wurde, begleiteten Ulrike Franke und Michael Loeken ein Stadtentwicklungsprojekt in Dortmund fünf Jahre lang mit der Kamera.
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Meinungen

kim · 24.08.2014

Sehenswerte Dokumentation über die Veränderungen eines Stadtteils in Dortmund - weg von der Stahlhütte hin zum Segelsee mit Eigentumswohnungen.
Ungewöhnlicherweise nimmt der Film keine Richterposition ein, sondern erzählt einfach: Das Veränderungen Vor- und Nachteile haben und nichts bleibt wie es ist.
Aber auch die Verlierer_innen haben ihren Platz im Film.
Sehenswert.