Gespenster (2005)

Die Geister, die ich rief...

Seit vor vielen Jahren ihre kleine Tochter in einem Supermarkt in Berlin verschwand, lebt die Französin Françoise (Marianne Basler) wie unter einer Glasglocke. Immer wieder gelingt es ihr sich mühsam zu beherrschen, bis sie eines Tages ausbricht, nach Berlin fährt und dort stets aufs Neue glaubt, in irgendeiner jungen Frau auf der Straße ihre Tochter Marie zu erkennen. Und immer wieder wird ihr Mann Pierre (Aurélien Recoing) ihr folgen, wird die Folgen ihres zur Obsession gewordenen ritualisierten Handelns mildern, den „belästigten“ jungen Frauen etwas Geld zustecken und seine traumatisierte Frau nach Hause bringen. Eine Jagd auf Gespenster, die längst jeden Sinn und Zweck verloren hat, und die sich doch ein ums andere Mal wiederholt.

Die 17-jährige Nina (Julia Hummer) lebt in Berlin, ohne offensichtlichen familiären Background ist sie in einem Heim untergebracht und leistet gerade im Berliner Tiergarten eine Art Arbeitsdienst ab, als sie sieht, wie die junge Frau Toni (Sabine Timoteo) überfallen und ausgeraubt wird. Als die rastlose Toni wenig später des Diebstahls bezichtigt wird, hilft Nina ihr, sich zu verstecken, und zwischen der stillen, beinahe autistischen Nina und der extrovertierten Toni entsteht so etwas wie eine Freundschaft. Bei ihren gemeinsamen Streifzügen durch die Stadt begegnet ihnen just Françoise, die sich sicher ist, in Nina ihre verschwundene Tochter wiedergefunden zu haben. Für einen kurzen Moment regt sich in Nina die Hoffnung, in Toni und Françoise einen Anknüpfungspunkt gefunden zu haben, doch als Pierre auftaucht, wird Nina und Françoise schmerzhaft bewusst, dass diese Hoffnung vergebens war. Und beide haben zwar jeweils einen anderen Menschen an ihrer Seite, doch das Trauma des Verlustes hat beide so sehr geprägt, dass ihr Leben, so befürchtet man, dieser Verletzung geweiht ist.

Christian Petzold ist das vielleicht größte Talent des deutschen Autorenfilms, der es in den letzen Jahren auch mit Fernsehproduktionen wie Toter Mann verstanden hat, sich eine immense Reputation zu verschaffen. Seine Filme sind der Kunst näher als dem Film, mit sparsamen und äußerst sorgfältig kadrierten Bildern, knappen Dialogen und reduzierter Dramaturgie erschaffen sie Abbilder deutscher Wirklichkeiten, die ihresgleichen suchen. Dementsprechend groß waren die Erwartungen, die sich an seinen neuen Film Gespenster knüpften, der in diesem Jahr auf der Berlinale zu sehen war. Die Reaktionen waren verhalten enttäuscht (beim Publikum) bis teilweise euphorisch (bei der Presse). Und tatsächlich steckt beides in diesem Film, Größe und Scheitern, Aufbruch und Stagnation. Nach wie vor ist es absolut sehenswert, wie Christian Petzold es versteht, Orte der Entfremdung zu erschaffen, Seelenwelten inmitten der Metropole Berlin, Orte, die eine unbestreitbare Magie abstrahlen, ebenso wie jener kleine Park, in dem die Schlüsselszene von Michelangelos Blow up spielt, Inseln der Verlorenheit und existenzieller Not. Doch zugleich hat man das Gefühl, dass mit diesem geschärften Blick für die Umwelt der Mensch immer weiter aus dem Fokus in den Hintergrund rückt. Die Figuren bleiben skizzenhaft angedeutet, ein wirkliches Maß an Identifikation fällt trotz größter emotionaler Spannungen und Verwerfungen zunehmend schwer. Manchmal wirkt das Ganze wie eine Versuchsanordnung, präzise, kalt und sachlich-nüchtern, aber eben nicht berührend. In dieser Haltung erinnert Petzold mitunter an Michael Haneke, ohne jedoch dessen zynische Moralität zu erreichen. Stattdessen haftet dem Film eine somnambule Stimmung an, die ihn merkwürdig schwebend erscheinen lässt, trotz aller Erdenschwere. Und wie der Film selbst, so agieren auch die Figuren gebremst, verlangsamt und wie unter einer Glasglocke. Wer weiß, vielleicht sind sie ja nur Schatten ihrer selbst, Gespenster…

Und doch, trotz aller Qualitäten, die unbestreitbar feststehen, reicht der Film nicht an Petzolds frühere Werke wie Die innere Sicherheit, Wolfsburg oder Toter Mann heran. Der Verfremdungseffekt, der aus seinen bisherigen Werken nicht nur kleine Filmkunstwerke, sondern vor allem auch große Parabeln über die menschliche Existenz machte, er ist hier so übermächtig, dass alles andere darunter zu ersticken droht.

Gespenster (2005)

Seit vor vielen Jahren ihre kleine Tochter in einem Supermarkt in Berlin verschwand, lebt die Französin Françoise (Marianne Basler) wie unter einer Glasglocke.

  • Trailer
  • Bilder

Meinungen