Geron

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

"Cause there's a million things to be"

Hätte der Kanadier Bruce LaBruce nur dieses eine Werk – nämlich Otto; or, Up with Dead People (2008) – geschaffen, hätte es eigentlich schon genug Gründe gegeben, diesem Filmemacher einen Ehrenplatz in der (Underground-)Kinohistorie zuzusichern. Doch der sogenannte „Politpornograf“ hat auch vor und nach besagtem Mix aus Melancholie, Kopulation, Avantgarde-Wahnsinn und Zombietum zahlreiche Arbeiten vorgelegt, die mit ihrer Radikalität und Krudität zu provozieren, irritieren und (nicht zuletzt) zu amüsieren wussten.
Geron – die neuste Schöpfung von LaBruce – gilt manchem Kritiker nun als Enttäuschung, da die Liebesgeschichte zwischen einem jungen und einem deutlich älteren Mann vergleichsweise konventionell erzählt und „zahm“ inszeniert daherkommt. Man sollte aber bedenken, dass auch im bisherigen LaBruce-Œuvre bei allem „shock value“ das Sanfte eine keinesfalls unwesentliche Rolle spielte – und dass Subversion eine durchaus reizvolle Alternative zur offensichtlichen Provokation ist: Eine Liebesform jenseits der Norm mit Mainstream-kompatiblen Mitteln einzufangen, ohne ihr dabei die Eigenheit zu nehmen – das erfordert Können. Und dass er über dieses Können verfügt, demonstriert LaBruce überaus eindrücklich in diesem schönen und schlauen, lustigen und traurigen Film.

Lake (Pier-Gabriel Lajoie) lebt mit seiner Mutter Marie (Marie-Hélène Thibault) in der Stadt und arbeitet als Rettungsschwimmer in einem Hallenbad. Als Marie einen Job in einem Altenheim bekommt, fängt auch Lake dort als Pfleger an. So lernt der sensible Jugendliche den 81-jährigen Mr. Peabody (Walter Borden) kennen, der einst in der Theaterbranche tätig war. Die beiden freunden sich an – und kommen sich beim ausgelassenen Kartenspiel und einem harmonischen Ausflug immer näher. Lake fasst den Entschluss, Mr. Peabody aus dem Altenheim zu „entführen“, um mit ihm eine Reise zu unternehmen.

LaBruce nutzt die gängigen Standardsituationen des Liebesfilms, um zu vermitteln, wie Lake und der humor- sowie stilvolle Mr. Peabody ein Paar werden – vom Moment der Begegnung über die diversen Stationen des Kennenlernens bis hin zu Eifersuchts-, Versöhnungs- und Liebesszenen. Er greift als Regisseur auf etablierte Strategien zurück, um diese Passagen umzusetzen: Als der anfangs bettlägerige Mr. Peabody von Lake gewaschen wird, wird dies zum Beispiel mit sinnlichen Indie-Klängen, Slomo-Einsatz und vielen Detailaufnahmen präsentiert – also ganz so, wie die intimen Situationen heteronormativer Paare seit jeher in Hollywood-Produktionen inszeniert werden. Dies führt wiederum keineswegs dazu, dass die Beziehung zwischen den beiden Männern konventionalisiert und damit ihren Ecken und Kanten beraubt wird, sondern dazu, dass die klassischen Konzepte von Schönheit und Begehren ein wenig durcheinandergebracht werden. Wenn sich Lake und Mr. Peabody im letzten Drittel auf einen Road Trip begeben, entspricht auch der weitere Verlauf der Handlung bekannten narrativen Mustern einer Love Story. Manches an der Geschichte des Paares erinnert an die großartige Tragikomödie Harold und Maude, mit welcher Geron die Cat-Stevens’sche Botschaft teilt, dass man alles sein kann, was man sein will.

Indes die Liebe zwischen Lake und Mr. Peabody im Zentrum steht, geht es auch in den Nebensträngen um ungewöhnliche Beziehungen. So hat Lake nämlich obendrein noch eine Freundin namens Desiree (Katie Boland), die ihre glühende Begeisterung für feministische Literatur in einen Bookstore-Job einzubringen versucht. Die beiden tauschen Zärtlichkeiten aus und verstehen sich als „boy-“ und „girlfriend“ – und doch mutet ihre Beziehung recht queer an: Während er sich zu älteren Männern hingezogen fühlt, scheint sie zudem noch an ihrem Steve-Buscemi-artigen Boss sowie an Frauen mit Rockstar-Attitüde Gefallen zu finden. Die Geschichte von Lake und Desiree ist keine übliche Couple-Story – gleichwohl sieht man auch hier zwei Personen, die sich lieben. Desiree bezeichnet ihren Freund wiederholt als „a saint“ – und bewundert das revolutionäre Potenzial in Lakes Empfindungen für Mr. Peabody („You’re fighting against nature!“). Das ist wirklich anrührend. Auf eine weit weniger stimmige Art diffus bleibt hingegen das Verhältnis zwischen Lake und Marie. Letztere erscheint einem als eindimensional-verantwortungslose Rabenmutter leider bis zum Schluss überwiegend unsympathisch.

Insgesamt ist dies aber ein Film, der große Sympathie weckt und eine ungemeine Anziehungskraft ausübt: Man würde Menschen wie den Hauptfiguren dieses Werks gern begegnen (diesem mutigen „Heiligen“ oder diesem gewitzten Exzentriker oder dieser klugen Jung-Feministin, die eine interessante Begründung dafür findet, weshalb Winona Ryder als Revolutionärin gelten sollte) – und man möchte augenblicklich nach/durch Kanada reisen, um all die Außenschauplätze aufzusuchen und um die Poesie dieser gezeigten Orte auch körperlich erleben zu können. Eine zauberhaft gefilmte, romantische Dramödie von einem Provokateur der Kinematografie – das hat nichts mit „Weichspülen“ zu tun; vielmehr ist es eine selbstbewusste, beherzte Aneignung dramaturgischer und ästhetischer Methoden, auf die der filmische Mainstream und dessen Protagonisten keinen alleinigen Anspruch haben sollten. Dass LaBruce den konfrontativen In-Your-Face-Style nicht verlernt hat, beweist er nebenbei in einer furios gestalteten Traumsequenz, die auf Zartbesaitete ziemlich verstörend wirken dürfte. Alles in allem ist Geron charmant und einfühlsam – und dennoch nicht weniger (sondern nur auf andere, subtilere Weise) herausfordernd als die früheren LaBruce-Arbeiten.

Geron

Hätte der Kanadier Bruce LaBruce nur dieses eine Werk – nämlich „Otto; or, Up with Dead People“ (2008) – geschaffen, hätte es eigentlich schon genug Gründe gegeben, diesem Filmemacher einen Ehrenplatz in der (Underground-)Kinohistorie zuzusichern. Doch der sogenannte „Politpornograf“ hat auch vor und nach besagtem Mix aus Melancholie, Kopulation, Avantgarde-Wahnsinn und Zombietum zahlreiche Arbeiten vorgelegt, die mit ihrer Radikalität und Krudität zu provozieren, irritieren und (nicht zuletzt) zu amüsieren wussten.
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