Gegengerade - 20359 St. Pauli

Eine Filmkritik von Peter Gutting

Chaostage auf St. Pauli

„Das Stehen im Stadion ist wie der Besuch einer Predigt“. Der das sagt, ist der Schauspieler André Eisermann. Er liest den Text wie ein Nachrichtensprecher, ernst und salbungsvoll. Aber natürlich ist das keine ernst gemeinte Botschaft, jedenfalls nicht nur. Die Passagen mit Eisermann (Kaspar Hauser, Schlafes Bruder) sind Teil eines wilden Mix aus Punk, Straßenschlachten, Fan-Gegröle und kabarettreifen Sketchen. Man könnte auch sagen, all das ist Teil eines Kultes, der sich auf einen irrationalen Nenner bringen lässt: die Vergötterung des Fußballklubs FC Sankt Pauli.
Im Grunde schließt Regisseur Tarek Ehlail mit seinem zweiten Spielfilm nahtlos an seinen Erstling Chaostage an. Ein gesellschaftliches Phänomen wie die Punkbewegung oder die alternative Fanszene des Kiezklubs bilden den Hintergrund einer locker hingeworfenen Story, die vor allem dazu dient, ein Puzzle aus Einzelteilen zusammenzuhalten. Aus Versatzstücken allerdings, die geadelt werden durch ein erstaunliches Ensemble an berühmten Schauspielern und sonstigen Stars. Moritz Bleibtreu zum Beispiel gibt sich in Gegengerade die Ehre, Mario Adorf, Dominique Horwitz und Claude-Oliver Rudolph sind mit von der Partie. Und unter den nicht-schauspielernden Promis taucht sogar Fußball-Legende Uwe Seeler auf.

Die Story ist schnell erzählt. Sie spielt am Tag des Wiederaufstiegs in die Erste Bundesliga. Die Fans Magnus (Timo Jacobs), Arne (Fabian Busch) und Kowalski (Denis Moschitto) kommen aus ganz unterschiedlichen Lebenswelten, haben aber die Liebe zum Punk und zum FC St. Pauli gemeinsam. Magnus lebt in einem stinkreichen Elternhaus, Kowalski dagegen verdient sein Geld auf dem Schrottplatz. Und Arne gibt mit seiner Filmkamera den Künstler, sozusagen das Alter Ego des Regisseurs. Das bereitet den Boden für ein paar Späße und Brechungen auf der Erzählebene. Denn es entsteht der Eindruck, dass Arne den Film gerade erst dreht, den der Zuschauer bereits auf der Leinwand sieht.

Die Freundschaft der Drei ist eigentlich durch nichts zu erschüttern. Aber dass Magnus den ahnungslosen Kowalski gegen dessen Willen in eine politische Aktion hineinzieht und ihm damit die Polizei auf den Hals hetzt – das geht dem ehrlichen Proleten dann doch zu weit. Werden sie es schaffen, den Streit bis zum Ende der glorreichen 90 Minuten beizulegen und den Sieg gemeinsam zu genießen? Na klar, das werden sie – die paar Schlägereien können einen echten Fan niemals stoppen.

Vom Spiel selber ist dabei kaum etwas zu sehen, aber das ist ja auch nicht das Wichtigste. Das Wichtigste sind die Fans, die Gegenkultur auf St. Pauli und der Kampf gegen die Kommerzialisierung des Viertels, das den Wohnraum nur noch für reiche Yuppies erschwinglich macht. Noch entscheidender ist allerdings der Spaß, den dieser Protest bereitet, das Feiern einer Gegenkultur, in der Schlägereien, Besäufnisse und das Hämmern des Punk zu einer anarchischen Wutorgie verschmelzen. Ein Film für jene, die es laut, wild und derb lieben.

Gegengerade - 20359 St. Pauli

„Das Stehen im Stadion ist wie der Besuch einer Predigt“. Der das sagt, ist der Schauspieler André Eisermann. Er liest den Text wie ein Nachrichtensprecher, ernst und salbungsvoll. Aber natürlich ist das keine ernst gemeinte Botschaft, jedenfalls nicht nur.
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