Wunder von Mailand

Eine Filmkritik von Martin Beck

Es war einmal...

Vittorio De Sica hatte eine so lange und facettenreiche Karriere, dass es nur logisch erscheint, dem harschen Neorealismus von Fahrraddiebe ein liebliches Fantasy-Märchen folgen zu lassen. Auch Wunder von Mailand besitzt tatsächlich ein neorealistisches Fundament, doch erzählt wird die eigentlich traurige bis dramatische Geschichte mit leichtem Ton und verschmitztem Humor. Man meint, Einflüsse von Jacques Tati zu erkennen, und wenn dann De Sica noch ganz große Gefühle auspackt, immer unterfüttert mit sanfter Bitterkeit und Wehmut, ist auch Frank Capras Ist das Leben nicht schön? nicht weit.
Gedreht 1951, spielt Wunder von Mailand in besagter Stadt, die geprägt ist von einer wenig hoffnungsfrohen Nachkriegsdepression. Totò (Francesco Golisano), ein junger Mann und Waise, möchte Arbeit finden, aber landet nur in einem Slumgebiet am Stadtrand. Als dort Öl entdeckt wird und die Hütten abgerissen werden sollen, kommt den Bewohnern eine magische Taube zu Hilfe. Der harschen Realität lässt sich einfach nur mit Fantasie beikommen. Zwar gelingt es, den Abriss zu verhindern, doch das trostlose Dasein setzt sich so unerbittlich fort, dass letztendlich nur noch fliegende Besen eine Lösung bringen können.

Totó und seine Genossen singen am Schluss „Wir brauchen ein Stück Boden, und sei es noch so klein, und dann noch eine Hütte, um glücklich zu sein“. Dieses fröhliche Ankämpfen gegen die triste Realität ist der Kern von Wunder von Mailand, und so wunderbare Szenen wie das Aufstellen von Stühlen auf einem Berg, um für die Betrachtung des Sonnenuntergangs Geld verlangen zu können, unterstreichen das auf charmante Weise. De Sica geht genauso verspielt an sein Thema heran wie Charles Chaplin zum Beispiel bei Lichter der Großstadt oder Moderne Zeiten.

Nicht von ungefähr hat dann auch Totó Ähnlichkeit mit Chaplins Tramp, der bereits ganz am Anfang, als „Es war einmal…“ eingeblendet wird, eine sowohl märchenhafte als auch religiöse Haube aufbekommt. Baby Totó wird in einem Kohlbeet ausgesetzt, die Leute in der Slumsiedlung scharen sich sofort um ihn, den charismatischen, reinen Anführer, und die magische Taube kommt vom Geist seiner Ziehmutter. Dank dieser Fantasy-Elemente genießt De Sica eine enorme erzählerische Freiheit, die selbst das fast schon freche deus-ex-machina-Ende erlaubt und auch sentimentale Anflüge nicht sentimental erscheinen lässt.

Man kann Wunder von Mailand auf keinen Fall böse sein, dazu ist die Art, wie die Geschichte erzählt wird, einfach zu warmherzig, zu charmant, zu menschlich. Der Film strahlt eine gewinnende Art aus, begleitet von einem beschwingten Jazz-Score (von Alessandro Cicognini), und wenn dann noch der Tati-eske Humor hinzukommt, vor allem in der Darstellung der dezent bizarren Slumbewohner, schleicht sich das entspannte Lächeln von ganz alleine ins Gesicht. Trostlosigkeit wurde selten so schön dargestellt wie hier.

Für das damalige Publikum war Wunder von Mailand erstmal eine Überraschung, vor allem nach Fahrraddiebe, doch spätestens mit dem Gewinn der Goldenen Palme in Cannes wurde auch dieser Film ein großer Erfolg. Wieder einmal erstaunt es deswegen, dass die DVD von Pidax die erste Veröffentlichung in Deutschland darstellt, außerhalb des Kinostarts und der sporadischen Ausstrahlung auf arte. Bild und Ton gehen soweit in Ordnung, gerade bezogen auf das Alter des Films, doch auf die Extras der britischen Blu-ray — oder überhaupt eine Blu-ray — muss man leider verzichten. Als Bonus finden sich hier lediglich ein paar Trailer und ein (sehr schönes) Booklet.

Wunder von Mailand

Vittorio De Sica hatte eine so lange und facettenreiche Karriere, dass es nur logisch erscheint, dem harschen Neorealismus von „Fahrraddiebe“ ein liebliches Fantasy-Märchen folgen zu lassen. Auch „Wunder von Mailand“ besitzt tatsächlich ein neorealistisches Fundament, doch erzählt wird die eigentlich traurige bis dramatische Geschichte mit leichtem Ton und verschmitztem Humor.
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