Wonder Wheel (2017)

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Eindrücklich bebildertes Boulevard-Theater

Manchmal ist die Welt des Kinos ihren Schützlingen und Lieblingen eben doch gnädig. Und ganz gewiss zählt Woody Allen zu den Favoriten des Kinogottes. Dass dessen neuer Film Wonder Wheel nun seine Premiere nicht wie gewohnt beim Filmfestival in Cannes feierte, sondern das New York Film Festival als Abschlussfilm beendete, könnte auf den ersten Blick wie eine Niederlage erscheinen, auf den zweiten andere Gründe haben. Oder es könnte schlichtweg auf eine göttliche Intervention zurückzuführen sein, denn das Fachpublikum an der Croisette ist gewohnt bissig und kritisch und nimmt dabei frech nicht mal Altmeister des Kinos unter besonderen Schutz. Insofern ist Allen womöglich Schlimmeres erspart geblieben, und der Film ist in New York viel besser aufgehoben. Immerhin atmet der Film vor allem eines: Nostalgie für all jene, die sich nach dem alten New York – konkreter: dem alten Coney Island – zurücksehnen.

Auf diese Halbinsel am südlichsten Zipfel von Brooklyn hat Allen sein neues Werk hineingepflanzt. In den 1950er Jahren begann der langsame Niedergang der Amüsiermeile, weil plötzlich andere Ausflugsziele besser mit dem Auto erreichbar waren. Wobei solche Entwicklungen in Wonder Wheel eher wie ein diffuser Bildhintergrund eingearbeitet sind. Erzählt wird die kommende Geschichte von dem Rettungsschwimmer Mickey Rubin (Justin Timberlake), einem jungen Mann, der davon träumt, einmal ein bedeutender Dramatiker wie Eugene O’Neill zu werden und ein richtig „tiefgründiges Drama“ zu verfassen. Es ist seine Geschichte, die er uns hier vorstellt: Mickey hat eine Affäre mit der älteren, verheirateten Ginny (Kate Winslet), die mit dem Muffelkopf Humpty (Jim Belushi) in zweiter Ehe verheiratet ist. Aus ihrer ersten gescheiterten Verbindung hat sie einen Sohn mit in diese neue Verbindung gebracht, der sich allerdings als kleiner Feuerteufel erweist, der alles anzündet, was nicht bei drei auf den Bäumen ist. Und dann taucht eines Tages noch Carolina (Juno Temple) auf, Humptys Tochter aus erster Ehe, die von ihrem Vater eigentlich verstoßen wurde, weil sie einen Gangster heiratete. Nun aber hat sie den Gauner verlassen und sucht Unterschlupf, weil sie gegenüber dem FBI etwas zu freizügig in ihren Bekenntnissen über die Geschäfte ihres (Ex-)Ehemannes war.

Was nun folgt, ahnt man schnell: Der arme Mickey sieht sich schnell fasziniert von der blondgelockten Damsel in distress, die auf die magische 40er-Grenze zuschreitende Ginny („it’s not a milestone, it’s a tombstone“ sagt sie an einer Stelle über den bedrohlich näher rückenden Geburtstag) ahnt die Konkurrenz und sieht ihre Felle davonschwimmen, wobei andererseits eine Trennung von Humpty niemals im Raume steht. Dennoch fühlt sich Ginny zurückgesetzt und trifft eine ganze Reihe von fatalen Entscheidungen bis hin zum Verrat an der jungen Frau …

Was zumindest in Ansätzen durchaus Elemente eines jener „tiefgründigen Dramen“ hat, von denen Mickey träumt, gerät unter Woody Allens Art des Erzählens und Inszenierens zu einer Tragikomödie, die wenig Interesse an ihren Figuren mit all ihren unerfüllten Träumen, Hoffnungen, Sehnsüchten und Ängsten zeigt. Vielmehr reduziert sie sie auf einigermaßen ärgerliche Klischees, in denen Alkoholismus gerade mal für einen schlechten running gag taugt, häusliche Gewalt als quasi naturgegeben dargestellt wird, ernsthafte psychische Probleme vor allem dem Amüsement des Zuschauers dienen und auch sonst kaum etwas stimmt.

An gleich mehreren Stellen wird Coney Island mit seinen Achterbahnen und anderen Attraktionen – unter anderem dem immerhin eindrucksvoll als Bühnenhintergrund in der Wohnung von Gina und Humpty ins Bild gerückten Titel gebenden Riesenrad – als Ort des billigen Vergnügens und der fadenscheinigen Illusionen bezeichnet; eine Charakterisierung, die sich leider teilweise ebenso auf Woody Allens Film selbst anwenden lässt.

Dennoch gibt es immerhin ein Element, das hier mehr zu bieten weiß und das dann doch zum Staunen einlädt – es ist Vittorio Storaros Kamera, die das Kunststück vollbringt, die 1950er Jahre nicht mit Patina zu verblassten Farben zu übergießen, sondern derart bunt und leuchtend zu gestalten, als wäre man mittendrin. Hinzu kommt die seltene Fähigkeit, dem Theatralischen und bisweilen sehr Übertriebenen von Woody Allens Inszenierung zumindest einige eindrückliche Bilder zu entlocken, die zeigen, dass man hier eben doch im Kino und nicht in einem Boulevard-Theater ist. Das nämlich scheint Allen selbst immer wieder bei der Arbeit an Wonder Wheel vergessen zu haben.

Wonder Wheel (2017)

Manchmal ist die Welt des Kinos ihren Schützlingen und Lieblingen eben doch gnädig. Und ganz gewiss zählt Woody Allen zu den Favoriten des Kinogottes. Dass dessen neuer Film „Wonder Wheel“ nun seine Premiere nicht wie gewohnt beim Filmfestival in Cannes feierte, sondern das New York Film Festival als Abschlussfilm beendete, könnte auf den ersten Blick wie eine Niederlage erscheinen, auf den zweiten andere Gründe haben.

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