Wir sind jung. Wir sind stark. (2014)

Eine Filmkritik von Harald Mühlbeyer

"Scheiß drauf, wir machen einfach alles kaputt!"

Wenn in einer der ersten Szenen die Kamera um einen abgestellten VW-Bus kreist, durch die Luft fliegend rundumher, um die Mitglieder dieser desillusionierten Gruppe Jugendlicher vorzustellen, die da rauchen, saufen, Rechtsrock hören und prahlen: Das könnte noch ein manieristisches Mätzchen sein, eine Art Kraftprobe des technischen Departments. Wenn später drei dieser verlorenen Typen in einem typischen kleinen Jugendzimmer rumsitzen, die Kamera in der Mitte, die sich kontinuierlich um sich selbst dreht, einen Rundumblick gewährt, während die drei ständig diskontinuierlich woanders sitzen, sich ständig im Zimmer verschieben – da zeigt sich, dass hinter der filmischen Könnerschaft ein Wille steckt, ein genaues Bewusstsein. Denn wie könnte eindrucksvoller präsentiert werden, wie wenig diese drei jungen Leute mit sich selbst und mit der Welt anfangen können, wie wenig zu tun ist in diesem Rostock der Arbeitslosigkeit Anfang der 1990er?

Noch später im Film eine absolute Meisterleistung: Eine Fahrt entlang der Plattenbauten, die als Unterkunft für Asylanten und Vietnamesen dienen, eine Unmenge herumlungernder Anwohner, Massen an Polizei in voller Montur, unsere Jugendgruppe geht da durch, ohne Schnitt, provoziert spielerisch die Polizisten, die Kamera zieht auf, hoch in die Luft, wir sehen die Hardcore-Neonazis unten, wir sehen die Fernsehteams auf einem Dach, dann fängt die Kamera wie beiläufig unsere Protagonisten wieder ein – und schließlich wechselt der Film, bisher in tristem Schwarzweiß gehalten, in die Farbe, um das Finale einzuleiten, das Geschehen am Abend dieses 24. August 1992 in Rostock-Lichtenhagen.

Ein großartiger emotionaler Effekt ist das, den Regisseur Burhan Qurbani mit großer kinematographischer Souveränität erzeugt: Selten sieht man so etwas im Kino, schon gar nicht in einem deutschen Film. In perfekter Steigerung folgen wir diesem Tag von morgens bis abends, in vollkommenem dramatischem Aufbau präsentiert Qurbani die zunehmende Aggressivität, die sich am Abend in reinem Terror gegen die Rostocker Ausländer entlädt. Und das bezieht sich nicht nur auf die Entwicklung der Handlung oder auf die formalen Mittel, auch im Kleinen weiß Qurbani sehr genau, seine Akzente zu setzen: Etwa mit dem Leitmotiv dreier Kinder, die in einem geklauten Einkaufswagen Flaschen sammeln…

In dieser Gruppe von desillusionierten, verlorenen Jugendlichen gelingt es Qurbani, eine zunehmend unheimliche Atmosphäre der Aggressivität zu erzeugen, eine Aggressivität, die sich sowohl nach außen als auch nach innen richtet: Ein Nachmittag am Strand ist gespickt von kleinen oder großen Angriffen zwischen den Gefährten, auch von Seitensprung-Flirts, vom Spiel mit der Eifersucht – nicht aus Liebe, eher aus Eintönigkeit. Geschickt stellt er zwei heraus, Stefan, genannt Bolle, und Robbie – dieser, gespielt von Joel Basmann, ein hibbelig-nervöser Typ, innerlich getrieben, aber ohne Ziel, ein Anarcho-Nihilist, der kaputt macht, was er kaputtmachen will; jener, Jonas Nay, der introvertierte Mitläufer, der halt dabei ist, viel schweigt – und an dem Qurbani exekutiert, wie aus Langeweile und Perspektivlosigkeit die Aggressionsexplosion entsteht; gerade, weil Nay den Stillen spielt, der immer wieder auch nachdenklich guckt – der aber doch überhaupt nicht reflektiert.

Nun hat es Qurbani aber nicht nur auf die Randalierer abgesehen, sondern er möchte ein Panorama gestalten, den Blick auf alle Seiten richten – und das haut nicht so wirklich hin. Eine Nebengeschichte um eine Vietnamesin, die dann später zur Terrorflüchtigen wird, ist eher tatsächlich nebensächlich und nimmt von daher zu viel Raum ein; zumal es vom Inneren des belagerten, gebrandschatzten, von Nazis gestürmten Plattenbaus der Vietnamesen originale Bilder eines mit eingeschlossenen ZDF-Fernsehteams gibt, die sich ins kollektive Gedächtnis eingebrannt haben (die, zugegebenermaßen, Qurbani auch gar nicht thematisieren möchte; dann aber ist fraglich, warum überhaupt Opferbilder aus dem Inneren notwendig wären…); und die Episode mit Stefans Vater gerät (unfreiwillig?) zur Karikatur. Der ist nämlich Lokalpolitiker, offenbar bei der SPD, und das könnte einen interessanten neuen Aspekt ergeben; wäre er nicht so phlegmatisch gezeichnet, von Devid Striesow auch als totaler Schlaffi dargestellt. Und das ist sehr unplausibel, wie so einer, wie behauptet, die große Nachwuchshoffnung der Politik sein soll, wenn er weder ehrgeizig noch charismatisch ist, ja, dies nicht einmal vorspielen kann, weil er auf einer Pressekonferenz genauso schluffig ist wie zuhause, wenn er im Liegestuhl einschläft.

So meisterhaft vieles an dem Film ist, so träge wirken manche Szenen, die besser als Outtakes auf der DVD als im fertigen Film gelandet wären. Am Ende scheint auch andersherum einiges unfertig – wir folgen zwar den jungen Gewalttätern, die Hardcore-Neonazis aber, die auch in „unserer“ Aggro-Gruppe stecken, verliert der Film irgendwann aus dem Blickfeld. Dennoch, im Ganzen ein wichtiger und im Grunde richtig guter Film, der einiges auf den Punkt bringt. „Bist du rechts oder links?“, wird Jonas Nay als Stefan mal gefragt, auf der Polizeiwache, wo sowohl Skins als auch Punks festgesetzt sind, — „Ich bin normal. Kann man nicht einfach normal sein?“, antwortet der, und wir sehen im Weiteren, was in seinen Augen „normal“ ist. Und als Startpunkt des Sturmes auf das Vietnamesenhaus dient der Ruf: „Scheiß drauf, wir machen einfach alles kaputt!“
 

Wir sind jung. Wir sind stark. (2014)

Wenn in einer der ersten Szenen die Kamera um einen abgestellten VW-Bus kreist, durch die Luft fliegend rundumher, um die Mitglieder dieser desillusionierten Gruppe Jugendlicher vorzustellen, die da rauchen, saufen, Rechtsrock hören und prahlen: Das könnte noch ein manieristisches Mätzchen sein, eine Art Kraftprobe des technischen Departments.

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