Willkommen im Tollhaus

Eine Filmkritik von Marie Anderson

Die kleine Hölle Normalität

Die Ankündigung eines Tollhauses beinhaltet bereits eine filigrane Finte, denn diese Geschichte erzählt keine besonders spektakulären Verrücktheiten, sondern schlichtweg davon, was gemeinhin als ganz normaler Wahnsinn bezeichnet wird. Dies jedoch in komödiantisch geballter Form mit von Regisseur Todd Solondz gewohnten Befremdlichkeiten, die sich einer ernsthaften wie witzigen Harmonisierung konsequent verweigern. Willkommen im Tollhaus / Welcome to the Dollhouse stellt eine komische, präzise Milieu-Studie dar, die trotz des deutschen Titels eher eine scheinbare Puppenhaus-Szenerie persifliert, deren kleine, unliebsame Heldin mit ihrem kruden Individualismus gegen die maroden, doch erstaunlich stabilen Wände der gefälligen Konformität anstinkt.
Die elfjährige Dawn Wiener (köstlich verkörpert von Heather Matarazzo) hat es an der Junior High School wahrhaft nicht leicht, denn sie ist eines jener kleinen Mädchen, die einfach nur allzu häufig unangenehm auffallen, obwohl sie sich von ganzem Herzen das Gegenteil wünschen. Ihr verunsichertes Auftreten und ihr altmodisches Erscheinungsbild sind absolut unccol und fordern geradezu den permanenten Spott ihrer Mitschüler heraus, und nicht einmal den Lehrern ist Dawn symphatisch, denn sie ist kein duldsames Opfer und schon gar kein kleiner, verkannter Engel. Auch zu Hause innerhalb der Familie ist Dawns Stellung keineswegs angenehm, denn sie bewegt sich zwischen ihrem recht angepassten, abgeklärten Bruder Mark (Matthew Faber), der ungerührt seine eigene, auf Erfolg ausgerichtete Strategie verfolgt, und ihrer kleinen Schwester Missy (Daria Kalinina), die im lieblich-rosa Ballettkostüm wohl gestaltet durch die Welt schwebt und der die Herzen aller nur so zufliegen – Dawn in der Mittelposition hingegen ist schwierig. Allein der kleine Ralphy (Dimitri DeFresco) aus der Nachbarschaft bemüht sich, ihr ein guter Freund zu sein, doch der kleine Junge ist ebenfalls ein verspottetes und unbeliebtes Kind, so dass auch Dawn zunehmend dazu neigt, ihn bösartig zu verschmähen und lieber ganz allein zu sein. Doch dann rücken zwei Jungs in den Fokus von Dawns Aufmerksamkeit: Steve (Eric Mabius), ein Schulfreund ihres Bruders, der recht freundlich mit ihr umgeht, und Brandon (Brendan Sexton III) aus ihrer Klasse, ein zwielichtiger Typ, der angeblich widerwillig und geradezu angeberisch brutal ihre Nähe sucht. Und als ihre kleine Schwester Missy eines Tages verschwindet, woran Dawn nicht ganz unbeteiligt ist, hat das unglückliche Mädchen noch ganz andere Probleme, doch auch Träume …

Todd Solondz (Palindrome, 2004, Happiness, 1998) gelingt es ausgesprochen ambivalent, dabei ansprechend sowie ohne Rührseligkeiten und Idealisierungen, seine kleine Heldin im Kampf gegen ihre verkrustete Familienidylle und den gefälligen, grausamen Mainstream der Schule erstaunlich tapfer antreten zu lassen. Der US-amerikanische Regisseur, der einer Hauptströmung seiner Gesellschaft auf diese Weise unangenehm nah den Spiegel vorhält, beweist ein ungewöhnlich feines Gespür für die Nöte und Wunschvorstellungen von Kindern, die sich nur schwer in das enge Werteschema ihrer Umgebung fügen und skizziert damit heiter und präzise die Defizite einer ganzen Generation. Willkommen im Tollhaus wurde auf zahlreichen internationalen Festivals gezeigt und gewann auch ein paar Auszeichnungen, darunter den Großen Preis der Jury beim Sundance Film Festival 1996. Auch heute noch, lange Zeit nach der Premiere Mitte der 1990er Jahre ist der Film noch witzig und auch ernsthaft durchaus sehr schön anzuschauen, obwohl die Herangehensweise an diese Thematik ein wenig ihre Brisanz verloren hat, Willkommen im Tollhaus mittlerweile vorrangig ein jugendliches Publikum begeistern dürfte und auch Todd Solondz inzwischen wesentlich anziehendere Filme inszeniert hat.

Willkommen im Tollhaus

Die Ankündigung eines Tollhauses beinhaltet bereits eine filigrane Finte, denn diese Geschichte erzählt keine besonders spektakulären Verrücktheiten, sondern schlichtweg davon, was gemeinhin als ganz normaler Wahnsinn bezeichnet wird.
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