Willkommen bei Habib

Eine Filmkritik von Bianka Piringer

Sich treiben lassen und die Stadt neu entdecken

An lauen Spätsommertagen scheint die Zeit manchmal stillzustehen. Dann kann es passieren, dass die Menschen ihren Alltag nicht mehr so wichtig finden und sich treiben lassen. Es liegt etwas in der Luft, jeder Moment scheint voller Möglichkeiten. Für die vier Männer in Willkommen bei Habib von Regisseur Michael Baumann sind ein paar solcher Tage Anlass, ihr Leben zu überdenken und die eine oder andere Weiche neu zu stellen. Eine vom Autoverkehr geprägte Straßenkreuzung in Stuttgart verwandelt sich mit ihren umliegenden Läden und Häusern für die Dauer des Films beinahe in einen türkischen Dorfplatz. Denn fast die gesamte Handlung spielt sich dort ab und führt Menschen zusammen, die sich in der Großstadt sonst kaum miteinander befassen. Als Zuschauer fühlt man sich wie in einem Straßencafé, aus dem man das Geschehen um einen herum angenehm zurückgelehnt vorbeiziehen lässt, weil es vor allem um die Atmosphäre geht.
In Stuttgart herrscht Ausnahmezustand, denn die Müllabfuhr streikt und auf den Straßen häufen sich die Abfallsäcke. In einen Ausnahmezustand gerät auch der erfolgreiche Unternehmer Bruno (Thorsten Merten), als ihn die eigene Firma vor die Tür setzt: Er soll Gelder unterschlagen haben. Selbst sein Kollege und bester Freund Derek (Godehard Giese) glaubt seinen Unschuldsbeteuerungen nicht. Bruno postiert sich mit drohender Gebärde auf einer Verkehrsinsel vor dem Firmengebäude, so dass ihn Derek immer sieht. Vom wenige Schritte entfernt abgelegten Sperrmüll schnappt sich Bruno einen Stuhl, einen Teppich, ein Schränkchen, später noch eine Matratze: Er will nicht weichen, bis sich die Vorwürfe aufgeklärt haben. Der Hunger treibt ihn zum Imbisslokal von Habib (Vedat Erincin). Der 49-jährige Türke, der als junger Mann nach Deutschland kam, hat sich schon lange entschieden, nur eine Heimat zu besitzen, nämlich die hiesige: keine Fahrten in die Türkei, keine Zweisprachigkeit. Eines Tages aber geht er heimlich auf eine türkische Hochzeit, ohne seine deutsche Frau Andrea (Teresa Harder), um seine Jugendliebe wiederzusehen.

Habibs 24-jähriger Sohn Neco (Burak Yigit) wohnt mit seiner Frau Semra (Maryam Zaree) und einem kleinen Sohn noch bei den Eltern, obwohl er den Vater als „Wunder der Integration“ verachtet. Neco hat Schulden, weshalb ihm drei unangenehme Menschen auf die Füße steigen. Am liebsten fährt er im Cabrio mit seiner Freundin Jona (Luise Heyer) durch die nächtliche Stadt und träumt von einer Zukunft in der Türkei. Und dann gibt es noch einen alten Mann namens Ingo (Klaus Manchen), der ein Krankenhaus-Bändchen am Handgelenk trägt: Er sitzt entweder lange im Call Shop von Andrea oder draußen an einem der Tische von Habibs Imbiss. Andrea erkennt, dass er ein wichtiges Telefongespräch führen muss, und verhilft ihm heimlich dazu. Ingos bewegende Geschichte sprengt mit ihrer dramatischen Tiefe den Rahmen des ansonsten flüchtigen Geschehens.

Die Veränderungen, die diese Männer in ihrem Leben vornehmen, geschehen auf Umwegen, über Komplikationen, zufällig und ungeplant. Immer sind jedoch andere Menschen beteiligt, die den Pfad vom Einzelkämpfertum hin zu vernachlässigten Beziehungen ebnen. Zur impressionistischen Beiläufigkeit des Films, oft in den starken künstlichen Farben der abendlichen Stadt, kommen noch theaterhafte Elemente, für die sich schon der zentrale Schauplatz anbietet. Ab und zu agieren die Charaktere wie selbstvergessen in einem Happening, ohne dass die Handlung deswegen zum Experimentalfilm mutiert. Schon dank der unbeschwerten türkischen Musikstücke behält der Film seine Leichtigkeit, mit der er auch zum Nachdenken darüber anregt, inwiefern man den öffentlichen Raum – wie Bruno es mit seiner Verkehrsinsel vormacht – nicht intensiver für Begegnungen nutzen könnte.

Willkommen bei Habib

An lauen Spätsommertagen scheint die Zeit manchmal stillzustehen. Dann kann es passieren, dass die Menschen ihren Alltag nicht mehr so wichtig finden und sich treiben lassen. Es liegt etwas in der Luft, jeder Moment scheint voller Möglichkeiten. Für die vier Männer in „Willkommen bei Habib“ von Regisseur Michael Baumann sind ein paar solcher Tage Anlass, ihr Leben zu überdenken und die eine oder andere Weiche neu zu stellen.
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