Willkommen auf Deutsch

Eine Filmkritik von Lucas Barwenczik

Zwischen Wutbürgern und Willkommenskultur

„Das ist hier das noch beschauliche Dorf Appel“, begrüßt Hartmut Prahm den Zuschauer in seiner Welt. Es ist eine kleine Welt, in der nicht sonderlich viele Menschen leben. Sie besteht aus Weideland und Backsteinhäusern. Es gibt keinen Supermarkt, die Bäckerei hat mittlerweile zugemacht, der Bus fährt zwei Mal am Tag. Es gibt tausende Dörfer wie Appel, und in ihnen leben hunderttausende Menschen wie Prahm.
Es gibt jedoch auch viele, die nicht in der beschaulichen deutschen Provinz leben. Laut dem UNHCR waren im Jahr 2013 weltweit über 50 Millionen Menschen Flüchtlinge. 127.000 von ihnen haben in Deutschland einen Antrag auf Asyl gestellt. Und exakt 53 von ihnen sollen nach Appel kommen. Hartmut Prahm gefällt das nicht, und vielen seiner Mitbürger auch nicht. Ihr Gegenangebot ist: Höchstens Elf sollen es sein, ein örtlicher Gastwirt stellt seine Zimmer gerne zur Verfügung – gegen die entsprechende Bezahlung, versteht sich. Von solchen Prozessen handelt der Dokumentarfilm Willkommen auf Deutsch von Carsten Rau und Hauke Wendler: Von all diesen großen und kleinen Zahlen und den Menschen, die zu ihnen gehören. Davon, wie sie aufeinander prallen, und welche Folgen das hat.

Auch wenn das Erzählte nicht unbedingt an Charles Dickens erinnert, ist es eine Geschichte aus zwei Städten: Neben Appel, wo die Asylanten in einem ehemaligen Altenpflegeheim untergebracht werden sollen, geht es auch um die Gemeinde Tespe, in der bereits sieben Flüchtlinge aus Tschetschenien leben. Beide liegen im Landkreis Harburg in Niedersachsen, die Bewohner sprechen mit norddeutschem Akzent. Gezeigt werden Gesprächsrunden und politische Sitzungen, Flüchtlingstreffen und einfacher Alltag, sowohl von Migranten als auch von Einheimischen.

In Appel werden aus 53 möglichen Asylanten 53 Leerstellen. Variablen, die für die Einwohner niemand mit Leben füllt. Keiner hier hat diese Menschen je gesehen. Von „Schwarzafrikanern“ ist oft die Rede, das klingt gefährlich und fremdartig. Gerade das Unbekannte macht den Anwohnern Angst. Sie füllen die Projektionsflächen mit allem, was ihnen in den Sinn kommt. Dann sprechen Mütter von der Angst um ihre Töchter. Die Asylanten hätten ja schließlich auch „menschliche… männliche Bedürfnisse.“ Und der Bürgermeister von Appel, SPD-Mitglied Reinhard Kolkman, zitiert ein aufgebrachtes Gemeindemitglied: „Dann nimmt doch Deine Neger mit.“

In Willkommen auf Deutsch fallen viele solcher Sätze, mal als leise Untertöne, mal als zorniger Ruf aus einer dunkeln Ecke des Gemeindezentrums. In den besten Fällen klingen sie aufrichtig besorgt, in den schlimmen wie widerwärtige Internet-Kommentare. Die Anwesenheit der Kamera hemmt Einzelne sichtlich, erst in der Masse der Bürgerversammlung erkennt man den Proto-Mob. „Sie sehen, der Rahmen hier ist friedlich – ich hoffe, dass das weiter so bleibt“, wird unverhohlen gedroht. Wäre hier eine Großstadt in der Nähe, wären viele dieser Menschen wohl auf einer PEGIDA-Demonstration anzutreffen. Soweit liegen konkrete Sorgen, um die eigene Familie und Grundstückpreise von abstrakten, wie der Islamisierung des Abendlandes, oft nicht entfernt.

Doch die Kamera sucht nicht nach zornigen Blicken, Rau und Wendler wollen niemand entlarven. Der analytische, nach der hinter den Worten versteckten Ideologie suchende Stil eines Errol Morris ist ihnen fremd. Dabei ist im Film so viel aufgeladene Sprache zu hören: Von „sozialverträglicher Einwanderung“ wird gesprochen. Aussagen über Volksvertreter wie: „Die werden von uns bezahlt. Die haben uns zu dienen…“, verlangen geradezu nach Folgefragen, die leider nie gestellt werden.

Auch auf der Seite der Politiker werden Phrasen gedroschen. Immer wieder spricht Reiner Kaminski, der Leiter des Fachbereichs Soziales beim Landkreis Harburg, von der „Willkommenskultur“. Doch es bleiben leere Worte, die für niemanden etwas bedeuten, wahrscheinlich nicht einmal für ihn selbst. Man will ihm wirklich glauben, dass ihm sein Thema am Herzen liegt. Dass er das Richtige tun will. Doch man spürt sofort: So wird der blasse Bürokrat den Ängsten der Menschen, unabhängig davon, wie begründet oder haltlos sie sein mögen, nicht gerecht. Und so steht er für eine Kaste technokratischer Verwalter, die ihrer Wählerschaft sehr fremd geworden sind.

Statt einzelne Menschen kritisch zu hinterfragen stellt der Film der Angst vor dem Fremden konkrete Menschen gegenüber. In Tespe lebt Larisa, 21 Jahre alt und äußerst fotogen, mit ihrer Familie. Die Rentnerin Ingeborg Neupert unterstützt die Tschetschenen, die nicht nur mit den körperlichen Problemen der Mutter und der drohenden Abschiebung zu kämpfen haben, sondern auch mit Mitbürgern, die schon bei Kleinigkeiten die Polizei rufen.
Und dann ist da noch das gerade aus Pakistan geflohene Ehepaar Abida und Malik. Die Asylbewerber aus Pakistan schildern ihre Leidensgeschichte in fast einstudiert wirkenden Sätzen wie: „In Deutschland gibt es viele gute Menschen. Aber leider auch andere, die uns Ausländer hier nicht haben wollen.“

Manchmal wirkt der Film etwas zu naiv, gleichzeitig überkonstruiert und willkürlich aufgebaut. Die Bilder sind so bieder wie die Protagonisten, selten mehr als Beiwerk. Natürlich soll hier für den Zuschauer eine nahbare Realität entstehen. Das Ergebnis ist Subsidaritätskino, das auf der kleinstmöglichen Ebene erzählt. Man wünscht sich, die Verbindung von Spezifischem und Universellem würde besser gelingen. Man spürt die Haltung der Regisseure, will ihr auch zustimmen, aber zu einem mitreißenden Appell gegen den Status Quo wird Willkommen auf Deutsch leider nie.

Nur vereinzelt gibt es Geistesblitze, die verschenktes Potential andeuten. Gegen Ende des Films zeigen die Filmemacher Wutbürger Prahm einsam in seiner etwas düsteren Wohnung, draußen peitscht ein Sturm tausende dicke Regentropfen gegen seine Fensterscheibe. Er spricht von dem satten Grün der Bäume und dem Kontrast, der durch die Rotbuchen entsteht. „Das ist wirklich ein Gedicht.“ So muss es sich in seinem Kopf anfühlen: Um ihn herum tobt eine gewaltige, jeden Tag komplexer werdende Welt. Alles ist in Bewegung, alles verändert sich. Nur in Appel herrscht Ruhe und Behaglichkeit, im maximal Privaten. Noch ist es hier beschaulich. Aber der Sturm tobt und seine kleine Welt scheint sich unwiderruflich im großen Ganzen aufzulösen. Langsam muss er verstehen, dass er seine engen Grenzen selbst gesetzt hat. Niemand sonst.

Willkommen auf Deutsch

„Das ist hier das noch beschauliche Dorf Appel“, begrüßt Hartmut Prahm den Zuschauer in seiner Welt. Es ist eine kleine Welt, in der nicht sonderlich viele Menschen leben. Sie besteht aus Weideland und Backsteinhäusern. Es gibt keinen Supermarkt, die Bäckerei hat mittlerweile zugemacht, der Bus fährt zwei Mal am Tag. Es gibt tausende Dörfer wie Appel, und in ihnen leben hunderttausende Menschen wie Prahm.
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