White Shadow

Eine Filmkritik von Bianka Piringer

Tödlicher Aberglaube

Das in Tansania spielende Coming-of-Age-Drama White Shadow erzählt von einem Überlebenskampf im Wortsinn. Der Albino-Junge Alias (Hamisi Bazili) schwebt dauernd in Gefahr, umgebracht zu werden, weil es Medizinmänner gibt, die für seine angeblich Glück bringenden Körperteile tausende US-Dollars zahlen würden.
Das macht ihn zum Gejagten in einem Land, in dem das durchschnittliche Einkommen 442 US-Dollar im Jahr beträgt. Der israelische Künstler und Filmemacher Noaz Deshe, der in Berlin und Los Angeles lebt, hat die Rollen in dieser Geschichte mit einheimischen Laiendarstellern besetzt. Ryan Gosling fungiert als ausführender Produzent des starken Spielfilmdebüts, das sich ins Gedächtnis des Zuschauers eingräbt.

Alias wächst bei seiner Mutter (Riziki Ally) und seinem Vater (Tito D. Ntanga), der ebenfalls Albino ist, auf dem Land auf. Seine Mutter glaubt schon, dass der Junge verrückt geworden ist, weil er sich vor Hyänen fürchtet und abends nicht aus der Hütte kommt, um am Feuer zu essen. Aber seine Ängste sind durchaus real, denn die Eltern werden draußen von Männern attackiert, die den Vater töten. Die Mutter bringt Alias zu ihrem Bruder Kosmos (James Gayo) in die Stadt: Er soll künftig für ihn sorgen und ihn an einen sicheren Ort bringen, damit der Junge nicht das gleiche Schicksal erleidet wie sein Vater. Der Onkel lernt Alias als Straßenverkäufer an. Alias ist fleißig und lebt sich ein, zumal er sich ein wenig in Kosmos‘ Tochter Antoinette (Glory Mbayuwayu) verliebt.

Aber auch in der Stadt ist der Albino ein Außenseiter: Rivalisierende Straßenverkäufer vertreiben ihn und der Onkel versteckt ihn manchmal im verdeckten Laderaum des Wagens. Alias verlangt bald, zu dem sicheren Ort gebracht zu werden, von dem die Mutter sprach, und wird nachts zu einer Hütte in der Wildnis gefahren. Drinnen heißen ihn ein schwarzer Mann und eine schwarze Frau willkommen: Sie bieten dort bereits mehreren jüngeren Albino-Kindern Zuflucht. Dort lernt Alias den kleinen Salum (Salum Abdallah) kennen, der sein Vertrauter und Spielgefährte wird. Tagsüber geht Alias in die Stadt, um auf einer Müllkippe ausrangierte Computer auszuschlachten und die Teile zu verkaufen. Er bekommt mit, dass der Onkel wegen seiner Schulden von Männern bedroht und zusammengeschlagen wird. Die Katastrophe rückt unaufhaltsam näher.

Aberglaube, Armut, Straßenhandel, Kriminalität und dörfliche Selbstjustiz: An der Seite von Alias lernt der Zuschauer ein von Not und ständiger Unsicherheit geprägtes Lebensumfeld kennen. Nicht nur für den jungen Albino ist die Lage prekär, auch aus anderen Gründen wie Schulden können Menschen schnell in Lebensgefahr geraten. Vieles, was Alias wahrnimmt und sich zusammenreimt, bleibt teilweise rätselhaft. Die fahrige Handkamera, die kurzen Schnitte, die häufige Dunkelheit, in der nur Schemen zu erkennen sind, vermitteln ganz sinnlich, wie bruchstückhaft und stressbehaftet seine Orientierungsversuche sind. Monotone, unheimliche Klänge kündigen Bedrohliches an, wie auch Alias die Gefahr oft empfindet, lange bevor sie greifbar wird. Den Fluss der Ereignisse unterbrechen ruhige, sogar friedliche Passagen, von denen man im einzelnen nicht sagen könnte, ob Alias sie aktuell erlebt, erinnert oder fantasiert. Darin sprechen Alias und Salum über Zauberei, ziehen sich gegenseitig auf. Oder Alias genießt mit Antoinette ein paar schöne, kontemplative Momente. So roh und unvermittelt, wie die Geschichte zwischen Hoffnung und Zerstörung pendelt, muss auch Alias seine Gefühle anpassen, umkrempeln, neu sortieren. Es bleibt offen, inwieweit der Film die Handlung überhaupt linear erzählt, oder aus lauter einzelnen Puzzleteilen rekonstruiert. Aber weil er weitgehend der subjektiven Perspektive von Alias folgt, ist die Chronologie weniger wichtig, als die Wirklichkeit, die sich der Junge aktiv zusammenbaut.

Im Gesicht des beeindruckend gespielten Hauptcharakters spiegeln sich Verwundung und Verwunderung. Deshe gelingt es hervorragend, diesen einsamen jungen Menschen als Identifikationsfigur zu etablieren. Alias‘ optimistische Willenskraft und innere Klarheit bewahren diese aufwühlende Geschichte davor, in Grauen und Finsternis zu versinken.

White Shadow

Das in Tansania spielende Coming-of-Age-Drama „White Shadow“ erzählt von einem Überlebenskampf im Wortsinn. Der Albino-Junge Alias (Hamisi Bazili) schwebt dauernd in Gefahr, umgebracht zu werden, weil es Medizinmänner gibt, die für seine angeblich Glück bringenden Körperteile tausende US-Dollars zahlen würden.
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