Tony Ten

Eine Filmkritik von Sophie Charlotte Rieger

Das Märchen einer Scheidung

Die Scheidung der Eltern ist für die betroffenen Kinder alles andere als märchenhaft. Der holländischen Filmemacherin Mischa Kamp gelingt es dennoch, mit Tony Ten ein Märchen zu erzählen, in dessen Mittelpunkt das Auseinanderbrechen einer Familie steht.
Tony Wageman (Fass Wijn) ist neun Jahre alt und der größte Fan seines Vaters Gilles (Jeroen Spitzenberger). Gilles ist nämlich der weltbeste Kranfahrer überhaupt und der beste Papa der Welt. Aber weil der beste Papa nicht unbedingt auch der beste Ehemann ist, kriselt es im Hause Wageman. Als sein Vater in Folge eines besonders heftigen Streits aus dem gemeinsamen Haus auszieht, bricht für Tony eine Welt zusammen. Sein größter Wunsch ist es, die Eltern wieder zusammenzubringen und um dieses Ziel zu erreichen, ist er bereit, alles in seiner Macht stehende zu unternehmen. Doch obwohl sich die Königin der Niederlande höchst persönlich einschaltet, scheint die ersehnte Versöhnung unmöglich.

Im Grunde erzählt Tony Ten die immens tragische Geschichte von der Verzweiflung eines Kindes im Angesicht des Auseinanderbrechens seiner familiären Basis. Mit seinen neun Jahren ist Tony kaum in der Lage, die Geschehnisse in ihrer Gänze zu erfassen und schon gar nicht, sie zu verstehen. Drehbuchautorin Mieke de Jong betrachtet die Ereignisse durchgehend aus Tonys Perspektive. So bietet sie Kindern eine starke Identifikationsfigur und den Erwachsenen einen bewegenden Einblick in die Erlebniswelt Tonys. Dabei achtet sie stets darauf, dass die Geschichte kindgerecht erzählt und für Zuschauer jeden Alters verständlich ist. Dialoge und Sprache sind einfach gehalten, das Vokabular entspricht einem kindlichen Wortschatz. So sucht man Worte wie „Affäre“ oder „Seitensprung“ vergebens. Stattdessen erklärt Tonys Mutter Sissy (Rifka Lodeizen), der Vater habe gerade ganz wilde Ideen und glaube, er habe sich verliebt.

Aber nicht nur auf der sprachlichen Ebene nimmt der Film Rücksicht auf das Zielpublikum. Es ist vor allem die kindgerechte Darstellung der Ereignisse, die ins Auge sticht. Im Grunde nämlich handelt es sich bei Tony Ten um ein Märchen, in dem auch die typischen Figuren wie die „böse Stiefmutter“ (Anna Drijver als Wanda) und die „gute Fee“ (Annet Malherbe als Königin) nicht fehlen. Hinzu kommt die große Bedeutung, die dem Kranfahren beigemessen wird. Ein weitgehend unbeachteter Handwerksberuf erfährt hier so eine sympathische Aufwertung. Vor allem aber verwendet Mike de Jong den Kranfahrerberuf wie das Schicksal eines zum Heldentum bestimmten Königssohns. Von „Kranfahrerblut“ ist die Rede und das Bedienen des großen Krans, auch „das Biest“ genannt, ist nicht nur Tonys höchstes Ziel, sondern letztendlich auch der Moment seiner Initiation in die Welt der Erwachsenen. Durch diese märchenhaften Elemente gelingt es Mischa Kamp und Mike de Jong, die Intensität der negativen Emotionen, die durch den Scheidungsplot entstehen, abzuschwächen und die Geschichte ihrem jungen Publikum problemlos zugänglich zu machen.

Natürlich taucht an dieser Stelle die Frage auf, ob es sich bei der Strategie von Tony Ten wirklich um eine angemessene Schonung des Kinderpublikums oder um eine Verharmlosung der Situation handelt. Insbesondere das Eingreifen der Königin ist ein Handlungselement, das vollkommen der Realität entrückt und klar dem Märchenbereich zuzuordnen ist. Konflikte, wie das Auftauchen der bösen Stiefmutter, lösen sich wie von Zauberhand und die Wendepunkte der Geschichte sind selbst für einen Kinderfilm stark konstruiert. Doch wie Tony selbst, wird auch der Film am Ende erwachsen und entscheidet sich für eine recht realistische Auflösung der Geschichte. Es bleibt jedoch das schale Gefühl, dass hier Dinge, die im realen Leben kompliziert und belastend sind, als simpel und folgenlos dargestellt werden. Dies droht eine falsche Erwartungshaltung zum Thema Scheidung zu wecken, zu suggerieren, die Auflösung einer Familie sei „doch eigentlich gar nicht so schlimm“, und betroffene Kinder in ihren Gefühlen von Schmerz und Trauer nicht Ernst zu nehmen.

Nichtsdestotrotz ist Tony Ten insgesamt ein gelungener Kinderfilm, der mit seinem zuweilen absurden Humor auch die Erwachsenen zu unterhalten weiß. Das heutzutage omnipräsente Thema der Familienauflösung durch Scheidung wird kindgerecht verpackt. Somit geben Mischa Kamp und Mike de Jong den kleinen Zuschauern hier auch die Chance, das scheinbar Unverständliche aus einem neuen Blickwinkel zu betrachten und zu verstehen. Vor allem aber vermag Tony Ten eines: kleinen und großen Betroffenen Mut zu machen.

Tony Ten

Die Scheidung der Eltern ist für die betroffenen Kinder alles andere als märchenhaft. Der holländischen Filmemacherin Mischa Kamp gelingt es dennoch, mit „Tony Ten“ ein Märchen zu erzählen, in dessen Mittelpunkt das Auseinanderbrechen einer Familie steht.
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Meinungen

Michael · 28.11.2012

Ich habe den Film mit meinen beiden 8 und 10 Jahre alten Kindern angesehen. Absolut empfehlenswert. Ein schwieriges Thema, dass auch die Kinder berührt und dennoch haben wir wirklich viel gelacht. Die Kinder waren die ganze Zeit sehr konzentriert und auch im Anschluss haben wir darüber noch gesprochen.
Die gesamte Trennungsproblematik wird gut getroffen und umgesetzt. Unbedingt ansehen!!!