Tito on Ice

Eine Filmkritik von Franziska Welzel

Ein Roadtrip der skurrilen Art

In einer Altbauwohnung in Berlin unterhalten sich die schwedischen Comiczeichner Max Andersson und Lars Sjunessson über die Entstehung ihres Comics Bosnian Flat Dog, als sie einen Anruf aus Slowenien erhalten. Sie werden gebeten, dort eine Ausstellung über ihr Werk auszurichten und einen besonderen Gast mitzubringen: die Mumie des jugoslawischen Staatspräsidenten Josip Broz Tito – der Hauptfigur ihres Buches.
Gesagt, getan. Andersson und Sjunesson fertigen aus Styropor und Pappmaché eine Kopie des Diktators an, welche mithilfe einer DDR-Uniform und schwedischen Schwimm-Orden recht beachtenswert ist. Mit der Künstlerin Helena Ahonen und der Mumie im Gepäck machen sie sich auf den Weg nach Slowenien. Indem sie Menschen über die Vergangenheit des einstigen Staates befragen und Näheres zur Person Tito erfahren, wird ihre Tour zu einem Kunst- und Geschichtsprojekt über Tito und den Zerfall Jugoslawiens. Dabei treffen sie in Slowenien, Serbien sowie Bosnien und Herzegowina neben weiteren Künstlern auch Kultur- und Filmschaffende, die ihr Leben und ihre Arbeit reflektieren. Obwohl sich deren Geschichten nicht gleichen, weisen sie doch Gemeinsamkeiten auf: Sie versuchten, sich mit ihrer Kunst gegen ein Monopol zu wehren.

Das schwedische Team trifft auf seiner Reise Künstler wie Igor Prassel, Ivan Mitrevski, Katerina Mirović und Igor Hofbauer, die die Veränderungen in ihren Ländern hinsichtlich der Kunst und Kultur schildern. Die Gespräche zeigen, wie sie sich selber durch Kunst ausdrücken und ihre Träume sowie Ideale durch kreative Vorgänge äußern können. Dabei wird deutlich, dass wirtschaftliche und politische Strukturen die kulturelle Vielfalt bestimmen und in der post-jugoslawischen Zeit lokale Vereine geringe Chancen haben zu überleben. Auch wird der Frage nach dem Urheberrecht nachgegangen, indem beispielsweise eine Vielzahl an CD-und Video-Läden in Bosnien mit Raubkopien sowie veränderte Versionen von bekannten amerikanischen Comic-Figuren gezeigt werden, die sich damals nicht an den westlichen Standards orientierten und sich nun als einzigartig erweisen. In seiner Thematik ist Tito on Ice daher politisch und gleichzeitig tragisch.

Jedoch bietet der Dokumentarfilm auch sehr witzige Momente und gegensätzliche Bilder wie ein Fotoshooting mit Tito an einer Grenzkontrolle, alte Granathülsen als Souvenirs und Kunstgalerien in ausgebombten Häusern. Dem Zuschauer wird damit auf eine absurde und komische Art die Realität in diesen Ländern aus verschiedenen Perspektiven nähergebracht. Während die Protagonisten des Films immer mehr Grenzkontrollen passieren, verwischen auch zunehmend die Grenzen des Films. Dokumentarisches Super-8-Material wird durch Animationen aus Pappe und Müllresten unterbrochen und aufgegriffen. Diese Sequenzen heben sich nicht nur durch das Schwarz-Weiß ab, sondern erschaffen eine ganz neue Filmwelt, und die dokumentarischen Aufnahmen werden stets in einem neuen, großartig dargestellten Set-Design erzählt. Diese beinah schon surrealistischen Einstellungen bilden einen Kontrast und bieten eine andere, weit mehr humoristische Darstellung der Geschichte als die Realität erlaubt. Durch die Kombination von Farb- und körnigen Schwarz-Weiß-Aufnahmen wird die Bildsprache des Films definiert. Neben der wirklichkeitsnahen Abbildung des Geschehens finden Andersson und Sjunesson durch das Dokumentieren den eigentlichen kreativen Umgang mit der Realität.

Die Figur Tito ist der zentrale Punkt ihrer Geschichte und zieht sich wie ein roter Faden durch den gesamten Film. Er dient als Erinnerung an ein Land, das es nicht mehr gibt. Auch wenn Tito als Staatspräsident und Diktator eine umstrittene Figur ist, so sehen ihn doch viele als eine Person, die den Staat zusammenhielt und stets die Unabhängigkeit von Jugoslawien gegenüber dem Westen und der Sowjetunion bewahrte. Als er 1980 starb, zerfiel mit ihm auch die sozialistische Republik, und es kam zu einer Reihe von Kriegen, aus denen die neuen Balkanstaaten hervorgingen. Auf eine recht skurrile und amüsante Art und Weise nähern sich Andersson, Sjunesson und Ahonen einem sensiblen, jedoch wichtigen Thema und versuchen dabei, auch die Folgen dieser politischen und wirtschaftlichen Veränderungen zu beleuchten.

Alles in allem haben Andersson und seine Kollegen mit Tito on Ice ein wunderbares Werk geschaffen, das von den Interviews und Sichtweisen jedes Einzelnen lebt und durch seine Kreativität besticht. Von Ljubljana bis nach Belgrad und Sarajevo wird ein vielseitiger Einblick in die alternative Kulturszene gewährt. Trotz der politischen und wirtschaftlichen Hintergründe bleibt der Film unterhaltsam und versucht, Wahrheit durch Realität und Fiktion hervorzubringen. Begleitet von Balkan-Musik setzt Anderssons erster Dokumentarfilm ganz auf die Bildsprache und zeigt auf der Autorreise eine Landschaft, die von Landminen und zerbombten Häusern gekennzeichnet ist.

Tito on Ice ist ein informativer Film über das Leben und die Kunstszene der heutigen Balkanstaaten, der mit politischer Absurdität allerdings nicht zu ernst wirkt. Der Film gewährt sowohl einen Blick auf den Schrecken des Krieges als auch auf die kreative Freiheit, die nach der Zeit der Unterdrückung entstanden ist. Aufgrund seiner Komplexität und seiner einmaligen Visualität durch die Inszenierung der Bilder handelt es sich um einen sehenswerten und wertvollen Film, der bereits auf zahlreichen Festivals lief. Im Jahr 2013 wurde er mit dem Grand Prize als bester Animationsfilm auf dem Ottawa International Animation Festival sowie 2014 als Best Feature beim BeThere! Corfu Animation Festival ausgezeichnet und wird sicherlich noch viele weitere positive Reaktionen erhalten.

Tito on Ice

In einer Altbauwohnung in Berlin unterhalten sich die schwedischen Comiczeichner Max Andersson und Lars Sjunessson über die Entstehung ihres Comics „Bosnian Flat Dog“, als sie einen Anruf aus Slowenien erhalten. Sie werden gebeten, dort eine Ausstellung über ihr Werk auszurichten und einen besonderen Gast mitzubringen: die Mumie des jugoslawischen Staatspräsidenten Josip Broz Tito – der Hauptfigur ihres Buches.
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