The Wounded Angel (2016)

Vier gefallene Engel

Die kasachische Provinz kurz nach dem Fall der Sowjetunion: Es herrschen Arbeits- und Perspektivlosigkeit und abends wird von der Regierung der Strom abgestellt. In dieser Welt versuchen vier heranwachsende Jungen ihren Weg zu finden: Da ist Zharas, dessen Vater ein Dieb ist, und der die Familie mit seinem Ferienjob in einer Mühle durchbringt. Da ist Balapan, ein schüchterner Sänger, der sich nicht mit den anderen Jungen prügeln will, bis er plötzlich in den Stimmbruch gerät und seine Zukunft infrage stellt. Da ist Zhaba, der nach Altmetall sucht und vor der Entscheidung steht, drei behinderte Waisenkinder in den Bergwerkstunneln unter dem Dorf zu bestehlen und zurückzulassen. Und dann ist da noch Aslan, der Chirurg werden will und kurz vor der Aufnahmeprüfung erfährt, dass seine Freundin schwanger ist.

Wie schon in seinem Spielfilmdebüt Harmony Lessons, das auf der Berlinale 2013 mit einem Silbernem Bären ausgezeichnet wurde, beschäftigt sich der Regisseur Emir Baigazin in seinem zweiten Film The Wounded Angel mit Jugendlichen in seiner Heimat Kasachstan. Seine Protagonisten stellt er dabei immer wieder vor moralische Dilemmata: Stehlen oder nicht stehlen? Eine Abtreibung durchführen oder das Kind behalten? Moralisch stark bleiben oder seine Wut an Schwächeren auslassen?

Baigazin schafft es dabei, niemals über die vier Jungen zu urteilen. Er erzählt ihre Geschichten in vier Kapiteln, lässt jeder Geschichte Raum, sich zu entfalten und zeichnet dabei das Bild eines postsowjetischen Kasachstan, in dem es keine Unschuld geben kann. Erwachsene sind fast immer abwesend. Sind sie da, erleben die Kinder ihre Ohnmacht, mit den sich ändernden Lebensumständen umzugehen. Hier kann einem niemand helfen, die Kinder müssen vorzeitig selbst erwachsen werden. Dass ihre moralischen Dilemmata sich nie zum Guten auflösen, ist den Umständen der Zeit geschuldet.

Das transportiert der Film auch über seine Kameraführung. Der belgische Kameramann Yves Cape, der auch bei Holy Motors hinter der Kamera stand, fängt in wundervoll aufgebauten Bilden den Zwiespalt dieser Adoleszenz in einer von Armut und Verfall geprägten Gesellschaft ein. Wenn etwa Zharas sich in einer Hausruine versteckt, um eine Zigarette zu rauchen und man durch das verfallene Fenster, neben dem er steht, seinen Vater in die Steppe davongehen sieht. Oder wenn Zhaba in einer Ruine nach Altmetall sucht und vor einem Stapel Rohren und Schutt steht, dann sieht er in seinem weiten hellen Mantel in dieser verlassenen Postindustrielandschaft aus wie der titelgebende verwundete Engel, der beim Sturz auf die Erde verletzt wurde.

Am Ende treffen die vier Jungen noch einmal zusammen. Es ist klar, dass sie alle unter dem Bild der verwundeten Engel vereint werden können, und man fragt sich, wie ihr Leben und die Entscheidungen während ihrer moralischen Dilemmata wohl ausgefallen wären, wären sie an einem anderen Ort zu einer anderen Zeit geboren worden.

(Maria Wiesner)

The Wounded Angel (2016)

Die kasachische Provinz kurz nach dem Fall der Sowjetunion: Es herrschen Arbeits- und Perspektivlosigkeit und abends wird von der Regierung der Strom abgestellt. In dieser Welt versuchen vier heranwachsende Jungen ihren Weg zu finden: Da ist Zharas, dessen Vater ein Dieb ist, und der die Familie mit seinem Ferienjob in einer Mühle durchbringt.

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