The True Cost - Der Preis der Mode

Eine Filmkritik von Maria Wiesner

Die dunkle Seite der Mode

Was haben Sie heute an? Und woher kommt es? Wissen Sie es gerade nicht? Nach diesem Film werden Sie als erstes das Etikett Ihres T-Shirts suchen. Ich kann Ihnen garantieren, viel von dem, was The True Cost – Der Preis der Mode zeigt, wissen Sie bereits. Aber Sie ignorieren es trotzdem, tagtäglich.
„Ich wusste nichts über Mode“, erzählt der Dokumentarfilmer Andrew Morgan zu Beginn seines Films. „Ich hatte nur ein paar Fragen“, erzählt er weiter. „Doch was ich entdeckte, hat meine Denkweise über Mode für immer verändert, und ich hoffe, das tut es bei Ihnen auch.“ Diese Ansage kommt aus dem Off. Dazu sind Bilder von Schauplätzen rund um den Globus zu sehen: ein Sonnenaufgang in Asien, Models vor einem Defilee ganz in weiß gekleidet, eine Schneiderin, deren braunen Hände eine Nähmaschine bedienen. Morgan selbst ist nicht zu sehen, er bleibt im Off. Und obwohl sein Eingangskommentar die Richtung des Films bereits stark vorgibt, lässt er ab jetzt nur noch die Bilder seiner Recherche für sich sprechen: Die Näherinnen in Bangladesch. Die Färber in Indien. Die Kinder in den Schuhfabriken von Kambodscha. Und natürlich auch die Orte, die uns vertraut sind: Shoppingzentren in London und Paris, Einkäufer auf der Fashion Week in Mailand, Kunden, die zum Black Friday nach Thanksgiving Macy’s in New York stürmen und sich um heruntergesetzte Stiefel und Pullover prügeln. Das hässliche Gesicht des Konsums.

Dem gegenüber steht Shima aus Bangladesch. Sie ist 23 Jahre alt und Näherin in einer Fabrik in Dhaka. Shima hat versucht, eine Gewerkschaft zu gründen, sie forderte einen fairen Tageslohn, von dem die Näherinnen überleben können. Dafür wurde sie von den Managern getreten, gestoßen und verprügelt. Sie war nicht die einzige, auch auf die anderen Frauen, die es wagten, ihre Forderungen einzureichen, gingen die Aufseher mit Bügeleisen und Scheren los. Shima hat eine kleine Tochter, die sie zu ihren Eltern aufs Land bringen wird. Wegen der Arbeit kann sie sich nicht um das Kind kümmern. Nur noch einmal im Jahr wird sie ihre Tochter sehen. Sie hofft aber, dass ihr Geld dem Kind später eine gute Ausbildung ermöglicht. „Ich will nicht, dass sie das gleiche durchmachen muss wie ich“, sagt sie.

Ja, sagen Sie jetzt vielleicht. Das wissen wir doch alles. Die großen Modeketten wie Zara, H&M oder Primark können ihre Preise nur halten, weil irgendwo jemand für einen absoluten Hungerlohn arbeiten muss. Wie sonst gäbe es diese T-Shirts für fünf Euro? Die Ketten setzen darauf, dass die Kunden schnell konsumieren und genauso schnell wieder wegwerfen. Fast Fashion nennt sich das. Jede Woche kommen neue Modelle billig produzierter Kleidung in die Läden, ein irrsinnig schneller Durchlauf von Moden und Trends; Konsum, der den Kunden mit immer neuen Stoffträumen das große Glück verspricht.

Natürlich wissen wir das alles. Trotzdem steht in Ihrem T-Shirt mit hoher Wahrscheinlichkeit „Made in Bangladesch“ oder „Made in India“. Und deshalb führt Morgan all das noch einmal in all seiner Drastik vor Augen. Die Aufstände der Näherinnen in Kambodscha, die Pestizide auf den Baumwollplantagen in den Vereinigten Staaten, die vor Gift schwelenden Flüsse im Umland der Färbereien in Indien. Morgan versucht, ausgewogen zu berichten, fragt bei großen Textilkonzernen Statements und Interviews an, lässt die Nachhaltigkeitsexperten der großen Ketten zu Wort kommen. Dazu kommen jene, die sich in dieser Debatte immer wieder zu Wort melden. Designerin Stella McCartney ist so jemand. Seit Jahren setzt sie mit ihrer eigenen Modelinie auf nachhaltige Kleidungsstücke und tritt für faire Bedingungen in der Textilproduktion ein. Gleiche Töne hört man von Livia Firth. Sie ist die Executive Producerin des Films und macht sich ebenfalls seit Jahren für ökologische Produkte stark. Als Frau des britischen Schauspielers Colin Firth nutzt sie ihre Bekanntheit, um die Zustände in der Textilwirtschaft anzuklagen.

Auch wenn Thematik und Interviewpartner die Vorlage liefern könnten, schafft es Regisseur, nicht in den anklagend-polemischen Ton eines Michael Moore zu verfallen. Auch vermeidet er es zum Glück, auf Selbsterfahrungs-Dokumentationen wie etwa in Voll verzuckert — That Sugar Film oder Super Size Me zu setzen (Was beim Selbstversuch in Nähfabriken herauskommt, hatten erst zu Beginn dieses Jahres drei norwegische Blogger in der Dokumentationsreihe Deadly Fashion der Zeitung Aftenposten gezeigt). Fast schon journalistisch verlässt sich in The True Cost der Regisseur rein auf die Qualität der Aussagen seiner Gesprächspartner und vertraut auf die Stärke seiner Bilder, die er in den Fabriken und Färbereien der Entwicklungsländer aufgenommen hat.

Sie verdichten sich am Ende immer mehr, die Geschichten spitzen sich zu und werden emotionaler. Das geschieht aber alles ohne den moralischen Vorschlaghammer. Kein Appell am Ende, kein Offkommentar, nur die weinende Shima. Und über allem die Frage: Sollen Menschen dafür sterben, dass ein T-Shirt in Berlin fünf Euro kosten kann? Diese Frage wird nie explizit ausgesprochen. Das Gewissen allein stellt sie. Wie gesagt, Sie werden das Kino verlassen und sofort nachsehen, woher Ihr T-Shirt kommt. (Es steht übrigens auf diesen kleinen Zetteln, die immer an den Seiten eingenäht sind und manchmal kratzen – wenn die Näherin im Akkord nicht aufgepasst hat.)

The True Cost - Der Preis der Mode

Was haben Sie heute an? Und woher kommt es? Wissen Sie es gerade nicht? Nach diesem Film werden Sie als erstes das Etikett Ihres T-Shirts suchen. Ich kann Ihnen garantieren, viel von dem, was „The True Cost – Der Preis der Mode“ zeigt, wissen Sie bereits. Aber Sie ignorieren es trotzdem, tagtäglich.
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Meinungen

Friedmut Dreher · 03.02.2016

Dieser Film ist sehr zu empfehlen! Er stellt die richtigen Fragen zu unserem kranken Wirtschaftssystem! Leider kommen die alternativen Handelsansätze etwas zu kurz bzw. der Schnitt ist etwas hektisch. Trotzdem unbedingt ansehen!