The Tree

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Der Trauerbaum

Wenn ein Mensch – zumal ein junger — stirbt, dann hinterlässt dies bei denen, die zurückbleiben, eine Lücke, die kaum je zu schließen ist. In ihrem Film The Tree, der auf dem Roman Our Father, Who Art in the Trees der australischen Autorin Judy Pascoe basiert und der 2010 die Filmfestspiele von Cannes abschloss, beschäftigt sich Julie Betrucelli mit dem Leid der Hinterbliebenen, die auf ihre ganz eigene Weise versuchen, mit dem Verlust des Mannes und Vaters umzugehen. Dank herausragender Schauspieler, einer zurückhaltenden Regie und beeindruckender Bilder der grandiosen australischen Landschaft überschreitet das Drama niemals die schmale Grenze zum Kitsch, was bei einem Film mit diesem Thema wahrlich nahe liegend gewesen wäre.
Sie führen ein beschauliches Leben irgendwo im australischen Outback: Dawn (Charlotte Gainsbourg), ihr Mann Peter (Aden Young) und die vier Kinder der beiden. Für die Kinder ist das Aufwachsen abseits der Hektik der Städte ein Glücksfall und der riesige Feigenbaum, der das Holzhaus überragt und umfängt, signalisiert Stärke, Beständigkeit und ein behütetes Dasein, das auf bescheidene und harmonische Weise in sich ruht – eine trügerische Idylle.

Völlig unerwartet erliegt Peter am Steuer seines Pick-up einem Herzinfarkt, so dass Dawn und ihre Kinder von einem Tag auf den anderen ohne Mann bzw. Vater dastehen. Der Schock lähmt die Familie und es dauert lang, bis Dawn dazu in der Lage ist, sich wieder um ihre Kinder zu sorgen. Vor allem die achtjährige Simone (Morgana Davies), die beim Tod des Vaters auf der Ladefläche des Pick-up dabei war, entwickelt eine seltsame Marotte, um den Verlust zu kompensieren: Sie behauptet steif und fest, dass ihr Vater mit ihr durch den Baum spreche. Zwar hört niemand außer ihr die Stimmen, doch mit der Zeit scheint der Baum tatsächlich ein Eigenleben zu entwickeln. Als Dawn im Laden von George (Marton Csokas) eine Arbeit findet und dem Mann auch körperlich näher kommt, kracht unvermutet ein Ast in Dawns Schlafzimmer. Für George, der kein Verständnis für Simones Erklärungen hat, steht fest, dass der üppig wuchernde Baum das Haus über kurz oder lang gänzlich zerstören wird, er soll weichen. Doch er hat nicht mit dem energischen Widerstand des Mädchens gerechnet…

Verstorbene, die Kontakt mit ihren Hinterbliebenen aufnehmen – das erinnert beinahe zwangsläufig an die Hollywood-Schmonzette Ghost – Nachricht von Sam / Ghost von Jerry Zucker (USA, 1990), die Millionen von Zuschauern zu Tränen rührte. Julie Bertucelli wählt für ihren Film über Verlust, Trauer und den Umgang damit eine ganz andere, viel konkretere Herangehensweise. Nie wissen wir, ob es die Stimme des Vaters wirklich gibt, oder ob das Ganze nicht einfach ein Ausdruck von Simones Trauer und Schuldgefühlen ist, die sich hier manifestieren. Auch wenn sie die Präsenz des Vaters behauptet, ist dessen schmerzliche Abwesenheit doch in jeder Szene spürbar.

Auch sonst haben die beiden Filme, die 20 Jahre voneinander trennen, kaum etwas gemeinsam – vom Thema einmal abgesehen. Während Ghost – Nachricht von Sam auf ganz eigene Weise an einen recht naiv gezeichneten Geister- und Dämonenglauben anknüpft und diesen mit christlichem Erlösungsglauben verknüpft, konzentriert sich The Tree ganz auf die Welt der Trauernden, die (mit Ausnahme von Simone) ganz ohne jenseitigen Trost auskommen müssen.

Obwohl der gewaltige Baum deutlich sichtbar im Zentrum der Geschichte steht, verfällt Bertucelli niemals auf die Idee, das Monstrum zu vermenschlichen oder zu überhöhen. Aufgrund der schieren Größe und der knorrigen Gestalt wirkt der Baum auch so als machtvolle Metapher psychologischer Mechanismen, ohne jemals zu eindeutig in nur eine Richtung interpretierbar zu werden. Wofür der Baum (im wahrsten Wortsinne) steht, bliebt bis zum Ende geheimnisvoll und damit offen für verschiedene Erklärungsansätze. Er ist der heimliche (bzw. wenn man an den Titel des Films denkt gar nicht so heimliche) Hauptdarsteller des Films und war, wie im Abspann zu lesen steht, ziemlich schwer zu finden. Neben der Crew sind dort verschiedene Scouts aufgelistet, die auf der Suche nach dem perfekten Baum unterwegs waren.

Neben der gewohnt souverän aufspielenden Charlotte Gainsbourg sorgt vor allem die kleine Morgana Davies dafür, dass The Tree als sensibel inszenierte Parabel mit wunderschönen Bildern im Gedächtnis bleibt, die zum Nachdenken anregt und deren stiller Kraft man sich nicht entziehen kann.

The Tree

Wenn ein Mensch – zumal ein junger — stirbt, dann hinterlässt dies bei denen, die zurückbleiben, eine Lücke, die kaum je zu schließen ist. In ihrem Film „The Tree“, der auf dem Roman „Our Father, Who Art in the Trees“ der australischen Autorin Judy Pascoe basiert und der 2010 die Filmfestspiele von Cannes abschloss, beschäftigt sich Julie Betrucelli mit dem Leid der Hinterbliebenen, die auf ihre ganz eigene Weise versuchen, mit dem Verlust des Mannes und Vaters umzugehen.
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Meinungen

Lee Pologversen · 03.05.2011

lauft der film auf deutsch?

eva-maria sendel · 14.03.2011

Ich glaube es ist ein guter film. habe ja nur den trailer gesehen, werde ihn mir auf jeden fall ganz ansehen.
eva-maria sendel

Andreas Vogt(Baumgeistsekretär der Himmelgeister Kastanie) · 05.03.2011

Der Film bringt es auf den Punkt. Bäume sind Lebewesen und haben Bewußtsein, auch wenn wir es nicht wahrhaben wollen. Die Menschen früher wußten es.