The Man

Eine Filmkritik von Sonja Hartl

Wer ist hier the Man?

Simon (Søren Malling) ist der König der dänischen Kunstszene. Wenn er mit seiner Frau Darling (Ane Dahl Torp), die niemand mit ihrem richtigen Namen anredet, bei der Eröffnung seiner neuen Ausstellung ankommt, umkreisen, umgarnen und bewundern ihn die Menschen, er hält gewissermaßen Hof und genießt die uneingeschränkte Aufmerksamkeit, während er Lai (Sus Wilkins) begehrliche Blicke zuwirft.
Am nächsten Tag sitzt er — wie immer — in einem Schlafanzug am Tisch in seinem Atelier in einer Fabrikhalle, um ihn herum wuseln junge Nachwuchskünstler, die sich darum kümmern, dass das richtige PVC für seine Werke bestellt und alles rechtzeitig abgeschickt wird. Seine Frau sorgt sich um alles andere, damit Simon sich voll und ganz auf seine Kunst konzentrieren kann. Aber an diesem Tag ist er zunächst irritiert, weil einer seiner jungen Mitarbeiter den gleichen Pullover trägt wie er. Dann hat der Künstler The Ghost direkt gegenüber von Simons Atelier eine seiner Zeichnungen aufgehängt, die ein verhülltes Gesicht zeigt. Und noch dazu hat sich Simons 18-jähriger Sohn Casper (Jakob Oftebro) angekündigt, den er noch nie gesehen hat.

Als Casper dann in der Tür steht, ist Simon für einen Moment sprachlos: Er wirkt selbstsicher, attraktiv, fast wie eine jüngere Version von Simon selbst, was Simon aber gleich mit der Bemerkung, er sehe aus wie seine Mutter, abbügelt. Casper ist zögerlich, aber er nimmt den von Darling angebotenen Kaffee an und lässt eine erste Befragung von Simon über sich ergehen. Bereits hier ist zu merken, dass zwei Männer aufeinandertreffen, die sich ähnlich sind, sich aber (noch) nicht kennen. Und dann platzt eine erste Bombe: Casper ist The Ghost, im Internet eine Weltberühmtheit — und ein offensichtlich talentierter Zeichner. Damit stellt sich ab hier die Frage, ob wirklich Simon The Man ist, von dem der Filmtitel spricht — oder ob damit nicht vielmehr Casper gemeint ist.

Es gibt viele Filme über Künstler, die das männliche Genie in den Mittelpunkt stellen. Das sind zumeist mittelalte bis alte egozentrische Männer, die mit ihrer Kunst reich oder wenigstens berühmt geworden sind, ihre Gefährtin mit wesentlich jüngeren Frauen betrügen und ihr Umfeld tyrannisieren. Auch Simon in The Man ist so angelegt: Wenn er Sex mit Lai auf dem Tisch im Atelier hat, ragt sein Bauch heraus, es ist deutlich zu erkennen, dass er älter ist, dass sein Körper Alterszeichen trägt, gerade im Vergleich zu der wunderschönen Lai. Seine Frau Darling nimmt dieses Verhalten wie seine Schroffheiten hin, sie sucht sich eigene Ausflüchte im Leben. Im Vergleich aber zu Filmen wie bspw. Final Portrait vergisst dieser Film über einen fiktiven Künstler die Menschen in dessen Umfeld nicht. Deshalb weist Darling nicht nur Simon auf seine Fehler hin, sondern bekommt in einigen Szenen selbst den Raum, über sich und ihr Leben zu erzählen. Darüber hinaus wird auch das Älterwerden thematisiert — wie Darling einmal gegenüber Casper anmerkt, haben sie früher Zeit mit Menschen ihres Alters verbracht, nun sind sie immer von Jüngeren umgeben. Das hat natürlich etwas mit dem bohèmehaften Lebensstil zu tun, mit der fehlenden Sesshaftigkeit, aber auch damit, dass Simon diese Bewunderung seines Umfeldes genießt und Sorge hat, abgehängt zu werden, überholt zu sein. Dadurch entsteht in The Man nach und nach das komplexe Porträt des Lebens mit einem Mann, der immer im Zentrum steht — aber nun von seinem Sohn dort hinausgedrängt werden könnte. Denn das ist die zweite Ebene des Films: die Beziehung zwischen Vater und Sohn. Anfangs fragt sich Simon, warum Casper jetzt kommt, er fühlt sich von ihm angesichts seines Talents und seiner Jugend bedroht, aber zugleich ist er auch neugierig auf seinen Sohn. Schon bald nähern sie sich in kurzen, bisweilen absurden Dialogen an, obwohl deutlich wird, dass Casper nicht grundlos gekommen ist, er verfolgt einen Plan, der zu erahnen ist, aber dessen Vollendung dennoch einen gelungenen Schlusspunkt setzt. In dieser Beziehung geht es um Ähnlichkeiten und Fehler, aber eben auch um das Verständnis, das Vater und Sohn für einander aufbringen, weil sie beide Künstler sind und wissen, dass so ein Leben Opfer erfordert. Allerdings wird nun Casper erstmals derjenige sein, der ein Opfer von anderen einfordert.

Getragen wird Charlotte Sielings amüsanter, interessanter und ergreifender Film von zwei hervorragenden Hauptdarstellern: Søren Malling ist herrlich exzentrisch und egomanisch, zeigt aber zugleich auch die Unsicherheit, die jeder Künstler empfindet, die Angst vor dem Scheitern, die Sorge vor der Blamage. Jakob Oftebro agiert als Casper endlich mal wieder zurückhaltend und nuanciert, seine Motive bleiben lange im Unklaren, zudem ist aber eine Unbeirrbarkeit zu erkennen, die vermutlich nur Menschen haben, an die noch keine Erwartungen gestellt werden. Unterstützt werden diese beiden Schauspieler von der wunderbaren Ane Dahl Torp, die als Frau an Simons Seite ein ganzes Leben in ihrem Gesicht zeigen kann.

Am Ende hat sich die Frage, wer denn nun The Man ist, noch immer nicht beantwortet. Denn es gibt zwar in dieser Familie nur Platz für einen Alpha-Künstler, aber weiterhin zwei Männer, die um diesen Thron streiten werden. Vermutlich ihr Leben lang. Weil sie es genauso haben wollen.

The Man

Simon (Søren Malling) ist der König der dänischen Kunstszene. Wenn er mit seiner Frau Darling (Ane Dahl Torp), die niemand mit ihrem richtigen Namen anredet, bei der Eröffnung seiner neuen Ausstellung ankommt, umkreisen, umgarnen und bewundern ihn die Menschen, er hält gewissermaßen Hof und genießt die uneingeschränkte Aufmerksamkeit, während er Lai (Sus Wilkins) begehrliche Blicke zuwirft.
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