The Legend of Kaspar Hauser (2012)

Eine Filmkritik von Lida Bach

Kinematisches Kasperletheater

„Man muss bei dir viel interpretieren, Kaspar Hauser“, sagt der Priester (Fabrizio Gifuni) des tristen Eilands, auf dem „Die Legende von Kaspar Hauser“ eine konfuse Neuaufführung erlebt, zu der geisteswirren Titelfigur (Silvia Calderoni). Die Worte des Gottesmanns verraten den frommen Wunsch Davide Manulis, dass man in seinen frugalen Groteskfilm freudig hineindeute. Hätte die Historienverballhornung des Regisseurs von Beket einen Bruchteil des Sinngehalts, den die sich in ihrer Abgehobenheit gefallende Inszenierung vorgibt, käme vielleicht mehr heraus als der traurige Befund: Hirnverbranntheit.

Das übermächtige Gefühl der Leere ist das einzige, das die karge Eulogie auf die verbürgte Mythengestalt erzeugt. Die Leere ist mal schwarz, mal weiß, mal eine Zwischenstufe beider Kontrastfarben, in deren Spektrum die Bilder verharren. Niemals aber ist sie etwas anderes als eben das: Leere. Zu Anfang ist es die einer Sandebene, auf der ein statuenhafter Vincent Gallo steht, eine Hand hochgereckt zu einem Ufo am Himmel. Eine gefühlte Ewigkeit, nach der Uhr gemessen 95 Minuten, sieht man die gleiche Szene noch einmal mit einem marginalen Unterschied. Was ein Patzer des augenscheinlich unterbezahlten Special-Effects-Teams sein könnte, soll vermutlich welterschütternde Metaphysik herausschreien. Zwischen den zwei aufdringlichen Der-Kreis-schließt-sich-Einstellungen gähnt die dramaturgische Leere, die sich erfolgreich weigert, ein Plot zu sein, und die sprachliche Leere vorgeblicher Dialog-Improvisationen. Dass sie tatsächlich keine sind, verrät ihr Formalismus und das Unvermögen der Darsteller, die nicht von Texttafeln ablesen können, ohne jeder Zeile mit dem Kopf zu folgen.


Vielleicht könnten einige der sieben Gestalten, die ziellos über staubige Pfade und durch enge Gassen stapfen, in einem anderen Szenario unter einem anderen Regisseur ihre Ausdruckslosigkeit ablegen, aber „Die Legende von Kaspar Hauser“ lohnt ihnen nicht die Mühe. Verständlich angesichts der trivialen Reaktionen, die sie zur Schau stellen müssen, nachdem der androgyne Junge in Jogginghose (gespielt von einer älteren Frau) aus dem Meer angeschwemmt wurde. Der Pusher und der Sheriff (beides Vincent Gallo) zeigen träge Verwunderung, der Priester theologische Aufregung, die Gräfin (Claudia Gerini) beiläufige Staatsräson, ihr entstellter Diener Drago (Marco Lampis), der Besitzer eines Mulis („Das ist kein Pferd!“) und die Hure (Elisa Sednaoui) Gleichgültigkeit. Diese immerhin ist wenigstens gut nachvollziehbar. Die statischen Bilder lullen in einen Dämmerschlaf, aus dessen gnädigen Armen einen die Elektro-Beats von VITALIC reißen. Die Monotonie des Soundtracks wird zum Verstärker (musiktechnische Metaphern sind nicht zufällig gewählt) der optischen Eintönigkeit des Ruinenorts, an dem alles ein Relikt scheint.

Requisiten, die ausrangiert wirken, Protagonisten, die aussortiert und Sets, die verlassen wirken ergeben auch in ihrer Summe nicht mehr als ein Abfallprodukt. Zu einem solchen wird die Mär über einen mutmaßlichen Adelsspross im ADIDAS-Anzug, eine „Yeah“s und „Right“s ausspuckende Western-Karikatur, die sich mit einer Biker-Karikatur Disco-Duelle liefert, und antiquierte soziale Prototypen nicht durch ihre Stilisierung, sondern ihre schiere Redundanz präsentiert. Das Absurde symbolisiert keinen gesellschaftlichen oder psychischen Zustand, sondern maskiert das intellektuelle Vakuum des Films. Für Manuli zählt nicht die Figur Kaspar Hauser, der seine ausgedehnten Egozentrik-Auftritte genießende Gallo oder gar der Mensch an sich, sondern Pseudoprovokationen: Marken, Missbildungen, Musikgeräte, Markierungen. Eine Texttafel berichtet von Anno Zero, Land X, Meer Y. Auch diese Kurzformen paraphrasiert der Priester als göttlich: „Beschränkt auf das Wesentliche!“ Wenn sonst nichts los ist, muss das, was passiert und gesagt wird, ja eine höhere Bedeutung haben, oder?

Das ungefähr ist die dramatische Logik Manulis. Wenn man versuche mit der kurzen Lebensdauer Kaspar Hausers umzugehen, seien die am häufigsten verwendeten Worte „Rätsel“ und „Geheimnis“, so schreibt Manuli. Und weiter: „Ich möchte dem Ganzen jedoch die Wörter ‚surreal‘ und ‚Fantasie‘ hinzufügen.“ Gereicht hat es nur zu „Nervigkeit“ und „Ödnis“.
 

The Legend of Kaspar Hauser (2012)

„Man muss bei dir viel interpretieren, Kaspar Hauser“, sagt der Priester (Fabrizio Gifuni) des tristen Eilands, auf dem „Die Legende von Kaspar Hauser“ eine konfuse Neuaufführung erlebt, zu der geisteswirren Titelfigur (Silvia Calderoni). Die Worte des Gottesmanns verraten den frommen Wunsch Davide Manulis, dass man in seinen frugalen Groteskfilm freudig hineindeute.

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Meinungen

Stephan Langer · 26.07.2013

So schlecht, wie die Kritik vermuten lässt, ist der Film bei Weitem nicht. Mir scheint, es wurden einige Zitate auf den italienischen Film und die italienische Kultur übersehen. Die Bilder erinnern zwischenzeitlich sehr an Visconti und den Neorealismus, tief in der italienischen Kultur verwurzelte Strömungen der Filmgeschichte, mit denen Manuli offensichtlich arbeitet. Auch die Adidas-Kleidung von Kaspar Hauser ist ein, wenn auch eigenwilliger, Hinweis auf eine Jugend, die markendiktiert ihr Dasein fristen, ohne sich in ihrem eigentlichen Heranwachsen kennenzulernen. Die Jugend Italiens sind wohl ganz viele Kaspar Hausers, gerade in Sardinien (wo der Film gedreht wurde) ist die Arbeitslosigkeit dermaßen hoch, es besteht noch nicht einmal eine Aussicht auf eine Arbeit. Tief sitzender Frust ist das Ergebnis bei einer gesamten Generation. Die Insel ist zwar schön, es gibt aber keinerlei Infrastruktur (mit kleinen Ausanahmen in den etwas größeren Städten vielleicht). Insofern ist auch die Idee, sich mit dem Plattenauflegen Geld zu besorgen, absurd, spiegelt aber so einen Zeitgeist wieder, der sich entfremdet oder zwangs weniger Möglichkeiten in einen Party- und Drogenrausch stürzt. Den Drogendealer gibt es ja, den Sheriff auch (beides Gallo, man könnte sich ja mal den Sinn überlegen, weswegen es ein amerikanischer Sheriff ist, Gallo ist als Italoamerikaner die ideale Besetzung für den kulturellen Einfluss der Grossmacht in Italien immerschon), durch den gleichen Schauspieler ein Sinnbild für die korrupte italienische Polizei. Weiterhin sind Anspielungen auf die italienische Kirche und Religion im Allgemeinen enthalten, die anscheinend auch nicht bemerkt wurden. Außerdem: Die Szenen am Strand, wenn Gallo Hauser das Auflegen beibringt, sind voller Lebendigkeit und wahnsinnigem Humor, ganz wunderbar gelungen. Auch die Tanzszenen am Ende, im Paradies, sind einfach ein visueller und akustischer Genuss der Ausgelassenheit inmitten dieser Einöde, die der Film skizziert.