The Girl King

Eine Filmkritik von Sonja Hartl

Protestantische Kargheit und Lebensgier

Historiendramen haben meist große Kulissen, rauschend-raschelnde Kostüme und eine prunkvolle Ausstattung. Es sei denn, sie stammen von dem finnischen Regisseur Mika Kaurismäki und heißen The Girl King. Dann reichen auch ein zwar der erzählten Zeit angemessenes und sorgfältiges, aber durchaus bescheidenes Produktionsdesign, wenige Schauplätze und eine Hauptdarstellerin, die sich – nach Angaben Mika Kaurismäkis – sogar die Backenzähne ziehen ließ, damit sie der von ihr gespielten Figur Kristina von Schweden ähnlicher sieht.
Die in Schweden gleichermaßen verehrte wie umstrittene Königin verliert 1632 im Alter von fünf Jahren ihren Vater in der Schlacht bei Lützen und lebt vier Jahre mit ihrer depressiv-wahnsinnigen Mutter Eleonora (Martina Gedeck) und dem Leichnam ihres Vaters zusammen, den sie einem Ritual gleich jeden Abend küssen muss. Dann kommt sie zu ihrem Onkel und dessen Familie, wo sie auf Wunsch ihres Vaters wie ein Kronprinz ausgebildet wird. Also lernt sie reiten, jagen, verbringt viel Zeit mit Büchern und legt wenig Wert auf ihr Äußeres. Außerdem muss sie sich regelmäßig einer demütigenden Untersuchung aussetzen, bei der sie nackt vor den Augen machtvoller Männer vermessen und untersucht wird. Aus diesem Heranwachsen entwickeln sich ihre vorherrschenden Eigenschaften: Sie widersetzt sich als Königin mit Vorliebe Regeln – und den zeitgenössischen Geschlechtskonzepten. Schon ihre Stimme ist tief und ohne jeden femininen Liebreiz, sie trägt mit Vorliebe Männerkleidung, ist meinungsstark und ihrem Blick fehlt jegliche Unterwürfigkeit oder erzwungene Liebenswürdigkeit, die damals von einer Dame erwartet wurde. Malin Buska bringt für diese Rolle nicht nur eine große Ähnlichkeit mit, auch darstellerisch gelingt ihr eine gute Mischung aus Leidenschaft und Rebellion, Hingabe und Revolte. Sie verkörpert gleichermaßen Kristinas Intellektualität wie Emotionalität und bringt ihren inneren Drang nach Freiheit zum Ausdruck. Insbesondere im Zusammenspiel mit Sarah Gadon als ihre spätere Geliebte Ebba Sparra kommt der innere Konflikt zwischen ihrem strengen Aufwachsen und ihrer begehrenden Wildheit zum Ausdruck. Allein schon ihre Verführung von Ebba ist ungelenk und mit genau dem richtigen Humor geschildert – Ebba wird ihre Bettvorwärmerin, ehe sie sich körperlich immer näherkommen.

Kristina hat im Alter von 18 Jahren die Regierungsgewalt übernommen – in einer Zeit, in der Europa durch Glaubens- und Territorienkriege dominiert wird. Dennoch folgt sie ihrem eigenen Weg: Sie legt viel Wert auf Bildung, lädt Descartes nach Schweden ein, profitiert vom Prager Kunstraub – wenn sie ihn zuvor nicht sogar befohlen hat – und sammelt Kunstschätze an. Vor allem aber weigert sie sich schlichtweg zu heiraten. Alleine das ist den Männern ein Dorn im Auge, die überzeugt sind, ein starker Mann sei am Hof erforderlich. Ebenso schwer wiegt indes, dass sie zum Katholizismus übertreten will, nachdem sie im strengen Protestantismus unter Kanzler Axel (Michael Nyqvist) aufgewachsen ist.

The Girl King lässt sich vollends auf den Rausch, die Irrationalität und karge Kälte dieser Zeit ein. Die Kamera stürzt sich mit Kristina auf eine Hochzeit, bei der sie als Schäfer verkleidet auftaucht, und versteckt sich mit ihr inmitten ihrer geraubten Kunstgüter, um sich kurz darauf ihrer Leidenschaft mit Ebba hinzugeben. Die gesamte Zeit bleibt der Film sehr nah bei Kristina: die historischen Implikationen spielen eine Rolle, sie begründen Entscheidungen, jedoch ist zu jedem Moment nachzuvollziehen, warum sich Kristina diesem Diktat und der Enge nicht beugt – und nach ihrer Erziehung auch nicht beugen kann. Damit ist nicht gemeint, dass der Film diese Haltung gutheißt. Aber es wird sehr deutlich, dass es eine wichtige Rolle spielt, dass Kristina eine Frau ist – bei einem Mann wären diese Affäre sowie manche Entscheidungen sicherlich geduldet worden.

The Girl King ist kein heroisches Porträt von Kristina von Schweden, das verdeutlicht allein schon die Synthesizer-Musik, die jegliche Andeutung von Prunk und Emphase systematisch unterläuft. Vielmehr versucht der Film, der Widersprüchlichkeit dieser Figur gerecht zu werden – und dabei gerät eines nie in Vergessenheit: So schwierig manche Entscheidungen von Kristina auch waren, es ging ihr vor allem um Frieden und ihre Unabhängigkeit.

The Girl King

Historiendramen haben meist große Kulissen, rauschend-raschelnde Kostüme und eine prunkvolle Ausstattung. Es sei denn, sie stammen von dem finnischen Regisseur Mika Kaurismäki und heißen „The Girl King“. Dann reichen auch ein zwar der erzählten Zeit angemessenes und sorgfältiges, aber durchaus bescheidenes Produktionsdesign, wenige Schauplätze und eine Hauptdarstellerin, die sich – nach Angaben Mika Kaurismäkis – sogar die Backenzähne ziehen ließ, damit sie der von ihr gespielten Figur Kristina von Schweden ähnlicher sieht.
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Meinungen

Martin Zopick · 14.01.2023

Der jüngere Bruder von Aki hat einen pompös ausgestattetes, detailliert recherchiertes Kostümdrama gemacht, ein Biopic der schwedischen Königin Kristina (Malin Buska). Er hat die junge Frau in ihrer ganzen Vielfalt und Widersprüchlichkeit gezeigt. Von der Thronbesteigung der Sechsjährigen, über die Widerstände gegenüber ihrer Mutter Maria Eleonora (Martina Gedeck) und diplomatische Verwicklungen mit dem französischen Botschafter Pierre Hector (Hippolyte Girardot). Als Kanzler steht ihr Axel Oxenstierna (Michael Nyqvist) beratend zur Seite, von dem sie sich zunehmend emanzipiert. Auch die Zuneigung zu Graf Johan Oxenstierna (Lucas Bryant) hat nur leicht am Image der jungfräulichen Königin gekratzt, als sie sich Gräfin Ebba (Sarah Gadon) als Zofe an den schwedischen Hof und als Wärmflasche ins königliche Bett holte. Damit betonte sie ihre Eigenständigkeit, die auch vor einem Skandal nicht zurückschreckte. Ihre überdurchschnittliche Intelligenz bewies sie im Gespräch mit Descartes. Die Regie macht noch eine optische Verbeugung vor Rembrandt und seinem Dr. Tulp. Ihre Konversion zum katholischen Glauben bleibt ein erster Schritt in Richtung Abdankung.
Beachtlich, wenn auch nordisch unterkühlt.