The Dinner (2017)

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Ein Festmahl mit bitterem Beigeschmack

Ein festliches Mahl im Kreise der Familie ist normalerweise ja (zumeist wenigstens) ein Anlass zur Freude. Im Falle der kulinarischen Soirée aber, von der Oren Moverman in seinem Film The Dinner erzählt, kommen in dem Nobelrestaurant, in dem sich die Brüder Stan (Richard Gere) und Paul (Steven Coogan) Lohman und ihre Ehefrauen Katelyn (Rebecca Hall) und Claire (Laura Linney) treffen, nicht nur exquisite Kompositionen in insgesamt sechs Gängen auf den Tisch, fein säuberlich gegliedert in Aperitif, Vorspeise, Hauptgang, Käse, Dessert und Digestif. Sondern eben auch Lebenslügen, alte Verletzungen, erlittene Zurücksetzungen und schließlich die ganze Wahrheit — eine Speisenfolge, die der Abendgesellschaft im Verlauf der knapp zwei Stunden auf den Magen schlagen wird.

Es beginnt damit, dass der misanthropische und meinungsstarke Geschichtslehrer Paul das Abendessen mit seinem Bruder, einem Kongressabgeordneten, der sich gerade für die Wahl zum Gouverneur aufstellen lässt, am liebsten absagen würde. Erscheint der Mann zu diesem Zeitpunkt noch wie ein schlecht gelaunter Exzentriker, wird sich allerdings im Verlauf des Abends dem Zuschauer offenbaren, dass Pauls schlechte Laune ein pathologisches Maß erreicht hat, das jede Art der vernünftigen Kommunikation mit ihm zu einer Geduldsprobe machen wird. Dabei stehen gerade heute Abend wichtige Entscheidungen an, denn die Söhne der beiden Paare haben eine große Schuld auf sich geladen — und die veranlasst den Politiker Stan dazu, am Vorabend zu einem Gesetzesvorhaben, das er auf den Weg bringen will (und das indirekt auch seinen Bruder Paul betrifft, denn es geht um die angestrebte Gleichbehandlung psychischer Krankheiten bei den Krankenkassen), den Familienrat einzuberufen und sowohl über die Zukunft der Kinder wie auch über seine eigene politische Karriere zu entscheiden.

Je ausgefallener die aufgetischten Speisen sind, die dazu gereicht werden, desto existenzieller werden auch die Fragen, die zur Entscheidung anstehen: Noch sind die Täter, die den Feuertod einer Obdachlosen verursacht haben, nicht bekannt, noch besteht die Möglichkeit, dass die Jungs mit einem blauen Augen davonkommen. Doch wie bei den Erwachsenen geht der Riss, der die Familie spaltet, auch in der nächsten Generation weiter, denn ausgerechnet Stans Adoptivsohn Beau ist in den Besitz der Videoaufnahmen von der Tat gelangt und erpresst die Täter nun um eine Menge Geld, sodass Enttarnung gleich von mehreren Seiten droht. Kein Wunder also, wenn das eigentlich gemütliche Dinner bald ungemütlich wird. Und wie geht vor allem der psychisch labile Paul mit der Ungeheuerlichkeit der Tat um? Schnell liegen die Nerven blank …

Erscheint The Dinner nach einem Roman des Niederländers Herman Koch (im Jahre 2013 schon einmal unter dem Titel Het Diner verfilmt) anfangs als streng in die einzelnen Menügänge gegliedertes Episodendrama mit tiefenpsychologischem Anstrich, das in kurzen Momenten an Roman Polanskis Der Gott des Gemetzels erinnert, entscheidet sich Oren Moverman im weiteren Verlauf zu immer ausufernder erscheinenden Rückblenden und Zeitsprüngen, die das ganze Drama der familiären Beziehungen und Verstrickungen aufzeigen sollen. Allerdings sind es gerade diese Einschübe, die The Dinner manches von seiner Wucht nehmen — was unter anderem auch daran liegt, dass einzelnen Episoden wie etwa der brüderliche Ausflug nach Gettysburg viel zu lange geraten sind, wenngleich gerade diese Sequenz durch ihre expressive Bild- und Tongestaltung beeindruckt. Diese vielfach gebrochene narrative Struktur spiegelt indes das Geschehen des Abends präzise wieder, denn wie der Zuschauer werden auch die beiden Paare ständig unterbrochen, verlagert sich das Geschehen in dem Nobelrestaurant immer wieder, finden sich die Akteure ständig in neuen Konstellationen wieder.

Dass es am Ende ausgerechnet der Politiker ist, der auf Transparenz und Ehrlichkeit pocht, gibt angesichts der derzeitigen Ereignisse in den USA einen bitteren Beigeschmack, einen womöglich bewusst eingestreuten Misston in der Abfolge kulinarischer Köstlichkeiten, die wie eine Metapher auf die brüchige Fassade der Bürgerlichkeit wirken, hinter denen Abgründe lauern.
 

The Dinner (2017)

Ein festliches Mahl im Kreise der Familie ist normalerweise ja (zumeist wenigstens) ein Anlass zur Freude. Im Falle der kulinarischen Soirée aber, von der Oren Moverman in seinem Film „The Dinner“ erzählt, kommen in dem Nobelrestaurant, in dem sich die Brüder Stan (Richard Gere) und Paul (Steven Coogan) Lohman und ihre Ehefrauen Katelyn (Rebecca Hall) und Claire (Laura Linney) treffen, nicht nur exquisite Kompositionen in insgesamt sechs Gängen auf den Tisch, fein säuberlich gegliedert in Aperitif, Vorspeise, Hauptgang, Käse, Dessert und Digestif.

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