The Circle

Eine Filmkritik von Sonja Hartl

Teilen ist heilen

Eigentlich wäre das Setting von The Circle der ideale Ausgangspunkt für einen hochaktuellen Paranoia-Thriller: Die 24-jährige Mae Holland (Emma Watson) hat einen langweiligen Bürojob in einem Call Center, mit dem sie gerade so über die Runden kommt. Aber der Studienkredit drückt, außerdem ist ihr Vater chronisch krank und die Arztrechnungen stapeln sich. Da kommt der Anruf ihrer Freundin Annie (Karen Gillan) gerade recht: Sie hat ihr beim Circle ein Vorstellungsgespräch verschafft! Tatsächlich bekommt sie die Stelle bei dem Unternehmen, das bereits sehr viele Teile des Lebens der Menschen auf der Welt beherrscht. Immerhin hat der Circle mit TruYou vor, ein Tool zu entwickeln, das alle Netzprofile, Passwörter, E-Mail-Adressen und Zahlungsmethoden bündelt, zur Benutzung aber den richtigen Namen verlangt. Dadurch hat TruYou die Zeiten der falschen Identitäten und anonymen Kommentare beendet. Kein Trolling mehr, keine Hass-Postings. Und das Unternehmen arbeitet kontinuierlich an weiteren Anwendungen, die das Leben aller rechtschaffenen Menschen verbessern sollen. Auch die Arbeitsbedingungen sind ideal: Mae bekommt Anerkennung und Bestätigung, auf dem Campus gibt es ein großes Sport-, Kultur- und Unterhaltungsangebot, vor allem aber erhält nicht nur sie eine Krankenversicherung, sondern auch ihre Eltern können mitversichert werden, obwohl ihr Vater (Bill Paxton) mit MS eine chronische Krankheit hat.

Also stürzt sich Mae voller Elan in die Arbeit. Sie genießt die sektenartigen Zusammenkünfte, in denen neue Produkte präsentiert werden – und Mitgründer Eamon Bailey (Tom Hanks) zugejubelt wird wie einst Steve Jobs bei Apple-Präsentationen –, ihre Arbeit macht ihr Spaß und sie glaubt daran, dass der Circle das Leben aller Menschen verbessert. Sie ignoriert die Einwände ihres Jugendfreundes Mercer (Boyhood-Star Ellar Coltrane), sondern versucht zu gefallen, indem sie tut, was von ihr erwartet wird. Als sie aufgefordert wird, mehr über das soziale Netzwerk der Firma zu teilen, tut sie es. Zwar stresst es sie und sie bemerkt Nachteile, aber sie ignoriert sie. Sogar als Mercers Handwerksarbeit in den Fokus eines Shitstorms rückt, hält sie daran fest, dass das Sharing überwiegend caring ist, wie es die Firmenphilosophie vorschreibt. Und als sie dann gebeten wird, ein neues Produkt zu testen, fühlt sie sich auserwählt und ist dabei: Sie macht ihr gesamtes Leben transparent, d.h. sie ist ständig online und alle Bewegungen, Gespräche etc. sind für ihre FollowerInnen zu verfolgen. Aber das ständige Online-Sein stresst sie zusehends – und schon bald bringt sie nicht nur sich in große Gefahr.

The Circle basiert auf dem gleichnamigen Roman von Dave Eggers, in dem diese Version eines Unternehmens entworfen wird, das Facebook, Google, Amazon und Twitter längst hinter sich gelassen hat. Circle-Tools bieten ein besseres Soziales Netzwerk, eine bessere Suche, besseres Einkaufen und viele Möglichkeiten mehr. Jeder will sie nutzen, weil sie die besten der Welt sind. Mit TruYou wurde der erste Schritt zu der allumfassenden Transparenz gemacht, die der Circle in die Welt tragen will. Schon bald wird jeder Ort durch winzige Kameras jederzeit einzusehen sein, jedes Kind bei der Geburt mit einem Chip ausgestattet werden, werden Politiker und alle Menschen stets eine Kamera bei sich tragen. Dann gibt es keine dunklen Ecken und schmutzige Geheimnisse, keine Verbrechen und Mauscheleien mehr, sondern alles ist transparent und sauber.

Mit dieser schönen neuen Welt hat sich Dave Eggers nicht all zu weit von der Realität entfernt – und genau darin besteht das Beunruhigende dieser Version: Sie erscheint plausibel. Zumal mit der Transparenz auch eine umfassende Selbstoptimierung einhergeht, bei der man sich schon schämen muss, wenn man einen Schokoriegel isst. Nun hat sich aber seit Erscheinen des Buchs 2013 so einiges geändert – gerade im Hinblick auf das World Wide Web. Fragen der Regulierung und Privatsphäre, der Behandlung von falschen Nachrichten und die Folgen von Filterblasen erscheinen nun weitaus dringender und damit das Allheilsversprechen Transparenz fast noch verlockender. Doch leider bleibt Regisseur und Drehbuchautor (mit Dave Eggers) James Ponsoldt bei der Adaption fast wörtlich beim Buch. Ganz im Gegensatz zu seinem hervorragenden The End of the Tour gelingt es ihm kaum, eine eigenständige Version zu entwickeln. Stattdessen werden Stationen und Ereignisse abgehandelt, ohne dass sie überzeugend mit filmischen Mitteln umgesetzt werden. Das Kennenlernen eines geheimnisvollen Kollegen (John Boyega) ist so zufällig, dass sein schnell gefasstes Vertrauen erstaunlich ist. Zumal seine Rolle so nichtssagend und undankbar angelegt ist, dass man sich wünscht, hier wäre eine andere Lösung gefunden worden. Auch Maes Beziehungen zu Mercer und sogar ihren Eltern (Glenne Headly und Bill Paxton) bleiben blass und allenfalls behauptet.

Das ist umso bedauerlicher, weil The Circle sehr stark darauf baut, dass man sich auf seine Hauptfigur verlässt. Dafür muss man Sympathie mit Mae empfinden – was im Roman durchaus gelingt. Im Film aber reicht es nicht, die Rolle mit Emma Watson zu besetzen, wenn sie dann dabei zu sehen ist, wie sie sich fahrlässig in Gefahr bringt, ihre Eltern der Lächerlichkeit preisgibt und einen Freund verrät. Sicherlich deutet sich anfangs an, dass Mae unbedingt gemocht werden will und sich allzu leichtfertig entschlossen hat, „vollständig transparent“ zu werden. Aber das alleine reicht nicht als Motivation und Ankerpunkt. Hier fehlt die Entwicklung, hier fehlt die Ausarbeitung von Maes Zugehörigkeit und Überzeugung für den Circle.

Wenigstens lässt sich The Circle gut ansehen. Ästhetisch lehnt er sich an Tech-Präsentationen an und Tom Hanks spielt sichtlich vergnügt den jugendlich-charmanten Jobs-Cooks-Verschnitt. Aber der Film lässt selbst in dramatischen Momenten kaum Emotionen zu – und damit verschenkt er sein Potential. Allein das Areal der Firma und Arbeitsplätze bietet perfekten Anlass für eine Satire über Büros, die immer mehr Spielplätzen ähneln. Dennoch wagt der Film es nicht, hier eine Spitze zu setzen oder wenigstens auf die Absurditäten hinzuweisen. In der Szene, in der Mae darauf aufmerksam gemacht wird, dass ihre Aktivitäten in sozialen Netzwerken nicht ausreichen, deutet in der Inszenierung alles auf Komödie, aber dies wird letztlich nicht ausgespielt.

Deshalb ist The Circle nicht der Paranoia-Thriller, der er sein könnte. Denn die so dringend benötigte Ambivalenz stellt sich erst am Ende ein, wenn man sich unweigerlich fragt, ob Mae diese letzte Tat wirklich völlig selbstlos begeht. Oder ob sie sich nicht doch in der Rolle der Heilsbringerin zu sehr gefällt.
 

The Circle

Eigentlich wäre das Setting von „The Circle“ der ideale Ausgangspunkt für einen hochaktuellen Paranoia-Thriller: Die 24-jährige Mae Holland (Emma Watson) hat einen langweiligen Bürojob in einem Call Center, mit dem sie gerade so über die Runden kommt. Aber der Studienkredit drückt, außerdem ist ihr Vater chronisch krank und die Arztrechnungen stapeln sich.

  • Trailer
  • Bilder

Meinungen

Sonya Carina · 10.02.2020

Der Film läßt viele Möglichkeiten und Chancen liegen, das schauspielerische Potential, das in dem cast vorhanden ist, wird nicht genutzt. Aber ein Problem ist eben auch die Buchvorlage. Der Autor Dave Eggers ist schwul, und beim Lesen habe ich den Eindruck gewonnen, dass er vor allem auch ein Frauenhasser ist. Frauenfiguren werden von ihm ziemlich negativ dargestellt. Das kommt im Film nicht so rüber, aber es scheint mir grundsätzlich mit dieser Voreinstellung nicht wirklich möglich, eine tiefergehende Story mit interessanterer Entwicklung der Charaktere zu entwickeln. Daran fehlt es dem Buch, und noch mehr dem Film.

Sascha · 22.09.2017

Die Verfilmung hat mich - im Gegensatz zum Buch - eher "kalt gelassen". Das Buch fand ich beklemmender, wenn auch nicht so eindrucksvoll wie 1984.Tom Hanks spielt, wie gewohnt, groß auf.
Fazit: kann man sich anschauen, verpasst aber nicht viel, wenn man den Film nicht gesehen hat.

Irmgard Sollinger · 14.09.2017

Oh je, das Buch war schon so grauslich platt und simpel geschrieben. Wenn jetzt der Film noch öder ist ....