Sumé - The Sound of a Revolution

Eine Filmkritik von Stephan Langer

Dezent dagegen

Wenn das Musikalbum einer Band von 20 Prozent einer Bevölkerung gekauft wird, ist das schon ein Pfund, dem Respekt gebührt. Klar sind dabei zwei Dinge. Erstens: es muss sich um ein Beispiel aus der Vergangenheit handeln (bei gegenwärtig immer dominanterem Onlineangebot im Musikbereich). Und zweitens: das hat aller Wahrscheinlichkeit nach nicht in Deutschland stattgefunden, denn das wären 16 Millionen verkaufte Alben. Tatsächlich handelt es sich hier um die grönländische Band Sumé, deren Einfluss auf das grönländische Selbstverständnis zur Zeit der kulturellen Unterdrückung durch Dänemark der Dokumentarfilm Sumé – The Sound of a Revolution von Inuk Silis Høegh nachgeht.
Ausgehend von den historischen Tatsachen, dass GrönländerInnen für ein Studium oder eine höhere Ausbildung die heimatliche Insel verlassen und nach Dänemark gehen mussten und darüber hinaus zu Hause in den Schulen die grönländische Sprache kaum eine Rolle spielte und alle Dänisch lernten, zeigt der Film Archivmaterial aus den auch in nördlichsten Kreisen zumindest dezent politisierten 1970er Jahren. Damals fanden die ersten Jugendproteste gegen die hegemoniale Fremdbestimmung durch die dänische Kultur auf grönländischem Gebiet statt. Sprachrohr war Sumé, die als erste Band gemeinschaftsstiftend in ihrer Landessprache sang, über links-alternative Themen wie herrschende sozialen Missstände, wirtschaftliche Ausbeutung der Natur und die Verdrängung traditioneller Inuitkultur. Die Super-8-Aufnahmen werden ergänzt und mit aktuellen Interviews mit Bandmitgliedern, Fans und Weggefährten in Beziehung gesetzt. Das Konzept, Sumé – The Sound of a Revolution hauptsächlich auf den Erzählungen der Interviewten fußen zu lassen, tritt mit zunehmendem Fortschritt des Films aber immer mehr auf der Stelle, da die privaten Anekdoten inhaltlich eine Sentimentalität und einen gewissen Stolz, dabei gewesen zu sein, nicht überschreiten. Angesichts ihrer schieren Masse entwickelt sich auf die Dauer durchaus Ermüdungspotential. Selbst als ein Ex-Premierminister des Landes vor dem Mikrofon sitzt, wird nicht nachgehakt, als dieser über freundlich-historisierende Bemerkungen nicht hinaus kommt.

Dabei beginnt Sumé – The Sound of a Revolution so provokant-verheißungsvoll: wir sehen das Cover der eingangs erwähnten ersten Platte. Darauf ist ein Holzschnitt aus dem 19. Jahrhundert gedruckt, auf dem ein Inuit einen dänischen Wikinger getötet hat und dessen abgetrennten Arm triumphierend dem Betrachter präsentiert. Die soften Rocksongs von Sumé entfalten weder klanglich noch inhaltlich eine solch martiale Wucht – wahrscheinlich wäre das auch dem eher zurückhaltenden grönländischen Temperament, wie es der Film skizziert, nicht angemessen. Leider reicht das Schürfen nach einem politischen Vergangenheitskolorit nicht aus, um einen tieferen Einblick in die grönländische Gesellschaft unter der Verwaltung des dänischen Staates zu liefern. Interessant und bis heute relevant ist das Thema allemal. Das wird spätestens durch die von rassistischen Ressentiments durchtränkten Aussagen eines Bauarbeiters im Film deutlich, der die GrönländerInnen als „komische Urmenschen“ bezeichnet, mit denen er nicht arbeiten möchte. Solch bizarre Klischees existieren und wirken bis heute überall auf der Welt.

Die ersten aktuellen Bilder (immerhin handelt es sich ja um einen Film!) eines heutigen Grönlands bekommen wir erst kurz vor Ende zu Gesicht, was leider nicht ausreicht, der Archivlastigkeit auf Bildebene etwas entgegenzusetzen – auch wenn es nie gänzlich uninteressant ist, Super-8-Aufnahmen anzuschauen. Dieser Retroeffekt wird untermauert durch die Wahl einer fast durchgängig historischen Erzählperspektive – dadurch bleiben die erwähnten Inhalte ohne Kontext. Die potentiell ergiebigen Biographien der Bandmitglieder werden bis auf einen lapidaren Satz ganz am Ende nicht thematisiert. Der Impetus dahinter ist klar: Sumé soll als intakte Projektionsfläche für die Menschen erhalten bleiben. Dadurch wird der Ton von Sumé – The Sound of a Revolution leider etwas sehr lieblich, etwas zu sehr in einer vermeintlich gemeinsamen Vergangenheit schwelgend. Ironischerweise ist die Band nämlich neben politischen Meinungsdifferenzen laut Aussagen im Film auch aufgrund eines anderen Umstands auseinandergegangen: das Studium war zu Ende. Nach dem Studium sind alle Bandmitglieder wieder von Dänemark nach Grönland zurückgegangen. Wegstrecken, die geschichtlich von Arbeitsmigration geprägt ist, mithin in beide Richtungen Schicksalsstrecken, die viele Landsleute mit ihnen teilen und die auch im Film negativ tendenziös thematisiert werden. Genau diese Dinge bereiten nun auch gerade der gehuldigten Band Probleme, die sich scheinbar unisono in ihren Texten und Auftritten für ein menschlicheres Leben ausgesprochen hatte.

Leider sind viele solcher innerlichen Widersprüche nur subtil angedeutet und nicht weitergehend ausgeschöpft, da keine weitere Recherche stattgefunden hat und die Gegenwart Grönlands zu sehr außen vor bleibt. Die koloniale Phase unter Dänemark und die postkoloniale Zeit seit 1979 böte mit einer Verflechtung von in der Öffentlichkeit stehenden privaten Schicksalen der Bandmitglieder und ihren jeweiligen Standpunkten sicherlich noch einiges mehr an Inhalt, der zu mehr Vielschichtigkeit führen könnte. Vielleicht war der strikt historisierende Blickwinkel nicht die glücklichste konzeptionelle Entscheidung. Eines kann den Mitgliedern von Sumé aber niemand nehmen: ihre Rolle bei der identitätsstiftenden Initialzündung ihre eigene Kultur betreffend. Diese Absicht hat ja auch niemand – nur fühlt man sich nach Sumé – The Sound of a Revolution wie nach einem tollen Konzert ohne Zugabe eben leicht unbefriedigt.

Sumé - The Sound of a Revolution

Wenn das Musikalbum einer Band von 20 Prozent einer Bevölkerung gekauft wird, ist das schon ein Pfund, dem Respekt gebührt. Klar sind dabei zwei Dinge. Erstens: es muss sich um ein Beispiel aus der Vergangenheit handeln (bei gegenwärtig immer dominanterem Onlineangebot im Musikbereich). Und zweitens: das hat aller Wahrscheinlichkeit nach nicht in Deutschland stattgefunden, denn das wären 16 Millionen verkaufte Alben.
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