Stille Reserven

Eine Filmkritik von Patrick Holzapfel

Sterben ist menschlich

Der Unterschied zwischen amerikanischen Genrefilmen vor mehr als einem halben Jahrhundert und europäischen Imitationen heute liegt in der Selbstverständlichkeit. Hat früher John Ford einfach einen Film gemacht, der dann als Western bezeichnet wurde, so drehen viele Filmemacher in den USA und eben auch in Europa, heute einen Western oder einen Science-Fiction-Film mit all dem Gewicht und aller Aufregung, den diese Begriffe in sich tragen. Es ist etwas Besonderes geworden. Stille Reserven von Valentin Hitz ist ein erschreckend ironiebefreites Beispiel für das junge österreichische Begehren nach Genrehandwerk und um einiges weniger geglückt als Ich seh, Ich seh (Horror) oder sogar Das finstere Tal (Western).

Stille Reserven ist eine Art inoffizielles Remake des Direct-to-DVD-Kultfilms Equilibrium von Kurt Wimmer mit Christian Bale. Das heißt: Ein in einem orwellschen System äußerst effizient arbeitender Mann muss aus Berufsgründen in den Untergrund und bemerkt dort, wie krank das System ist, in dem er eigentlich lebt. Seine Effizienz bröckelt, vor allem wegen der Liebe zu einer Frau und er schließt sich der Untergrundbewegung an. Wenn man so möchte: Pocahontas. Nur ohne Humor.

Dabei legt der äußerst kühl und klischeehaft inszenierte Film eine ideologische Interpretation derart nahe, dass man beinahe versucht ist, sie zu ignorieren. In klaren, statischen Bildern geht es um den steifen Karrieristen Baumann (Clemens Schick), blass, emotionslos zu Beginn, der für eine Versicherung arbeitet, die in einer nicht allzu fernen Zukunft Todesversicherungen verkauft. Diese Ökonomisierung der Totenruhe beruht darauf, dass bei fehlendem Versicherungsabschluss das Gehirn der Verstorbenen als mentaler Datenspeicher ausgenutzt werden kann. Dystopische Kapitalismuskritik mit unterkühlten Holzhämmern ist das. Dabei ist vor allem problematisch, dass niemand weiß, ob die „Toten“ noch ein Restbewusstsein haben. Ausgehend von dieser durchaus spannenden High-Pitch-Idee entfaltet sich eine musterhafte Handlung um Baumann, der noch einen Auftrag erledigen muss, bevor er befördert wird. Dabei geht es um einen sehr schwierigen Kunden mit dem Namen Sokulowa. Der Schlüssel zu ihm liegt in seiner Tochter Lisa (Lena Lauzemis), die als Aktivistin tätig ist. Nachdem erste Versuche, Sokulow zum Abschluss einer Versicherung zu bewegen, scheitern, geht Baumann in den Untergrund und es beginnt ein Spiel zwischen Baumann und Lisa, bei dem sich immer mehr Gefühle in die eigentlich politischen und ökonomischen Interessen einmischen.

Stille Reserven schreckt nicht vor dem Einsatz zum Teil untragbarer Computeranimationen zurück, die zum Beispiel die Wiener Hofburg in eine futuristische Landschaft einbetten wollen. Die Effekte sind untragbar, weil man sie jederzeit als solche erkennt. Außerdem wirken sie wie ein Gimmick, wie ein unbenutzbarer Hintergrund in einem Videospiel. Vergleicht man die Verortung des Films in unserer heutigen Welt beispielsweise mit jener von Children of Men oder dem etwas (nicht zu sehr) unterschätzten Die kommenden Tage von Lars Kraume, bemerkt man sehr schnell die Aufgesetztheit des Films. Alles im Film ist eine Idee, nichts ist wirkliche Beobachtung und die mögliche Relevanz dieser Totenwirtschaft wird derart in eine ferne, künstliche, fremde Welt gepackt, statt uns wie im prägenden und hochaktuellen Children of Men direkt an der Gurgel zu packen. Genau deshalb vermisst man auch den Humor. Nein, es ist ein netter kleiner Ausflug, in dem es so einiges zu sehen gibt, so einiges thematisiert wird: Überwachung, Kapitalismus, emotionales Absterben, 1920er-Jahre-Club-Dekadenz, Arm-Reich-Schere und so weiter. Wenn man dem Film etwas zu Gute halten will, dann dass er effektiv aufzeigt, wie diese Elemente auseinander hervorgehen. Allerdings macht er das sehr oberflächlich und immer so, dass der durchschaubare Plot nicht in Gefahr gerät. Oder anders formuliert: Stille Reserven ist ein Film, bei dem man jede Drehbuchentscheidung beim Sehen mitlesen kann.

Im Kern geht es dann, wie so oft, um die Frage, wie man als Mensch handeln muss, was menschlich ist. Die Antwort des Films liegt auf der Hand: Sterben ist menschlich. Es ist äußerst schade, dass dieser Film eher aus dem System kommt, das er kritisiert, als dass er dem Untergrund angehört.
 

Stille Reserven

Der Unterschied zwischen amerikanischen Genrefilmen vor mehr als einem halben Jahrhundert und europäischen Imitationen heute liegt in der Selbstverständlichkeit. Hat früher John Ford einfach einen Film gemacht, der dann als Western bezeichnet wurde, so drehen viele Filmemacher in den USA und eben auch in Europa, heute einen Western oder einen Science-Fiction-Film mit all dem Gewicht und aller Aufregung, den diese Begriffe in sich tragen.

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