Sonita

Eine Filmkritik von Falk Straub

Mit Sprechgesang gegen das Patriarchat

Eine junge Afghanin, die im Iran lebt, träumt von einer Karriere als Rapperin. Das offizielle Gesangsverbot für Solistinnen stört sie wenig. Als ihr jedoch eine Zwangsehe in ihrem Heimatland droht, gerät mit der Protagonistin auch das Filmteam in ein Dilemma. Regisseurin Rokhsareh Ghaem Maghami hat die Probleme vor und hinter der Kamera in ihrem bewegenden Dokumentarfilm Sonita thematisiert.
Wenn Sonita Alizadeh träumt, dann unterscheidet sie nichts von anderen jungen Erwachsenen auf der Welt. Ihre Träume klebt die Afghanin in eine Kladde. In den bunten Collagen aus Zeitschriftenschnipseln steht Sonita auf einer Bühne, ein Foto ihres Gesichts auf den Körper der Sängerin Rihanna gepappt, davor das jubelnde Publikum. Sonita will Rapperin werden. Ein paar Seiten weiter hat sie ihr Traumhaus, ihr Traumauto, ihr eigenes Musikzimmer und lauter kleine Hundertdollarscheine aufs Papier gebracht. Wären die Scheine echt, könnte Sonita endlich einen Song im Tonstudio aufnehmen. Noch viel dringlicher benötigt sie das Geld aber, um einer Zwangsehe zu entgehen. Sonitas Bruder will heiraten. Leisten kann er sich seine Braut aber nur, wenn er Sonita an einen anderen Mann verkauft. Hier unterscheidet sich Sonitas Welt plötzlich drastisch von der der meisten jungen Erwachsenen.

Als kleines Mädchen ist Sonita vor den Taliban aus Afghanistan in den Iran geflohen. Gemeinsam mit ihrer älteren Schwester und deren Tochter lebt sie in einem Armenviertel Teherans – immer auf dem Sprung, die spärlich eingerichtete Wohnung jederzeit zu verlassen. Mit Putzjobs hält Sonita ihre kleine Ersatzfamilie über Wasser. Statt einer Schule besucht sie eine Sozialeinrichtung. Dort verarbeitet sie ihre Traumata von Flucht und Vertreibung in Rollenspielen oder holt sich erste Reaktionen auf ihre Songs ein, wenn sie mit einem großen, silbernen Kochlöffel in der Hand anstelle eines Mikrofons ihren Sprechgesang darbietet. Während die durchweg männlichen Köpfe der Teheraner Musikindustrie skeptisch bis ablehnend auf Sonitas Musik reagieren, stößt sie bei ihren Freundinnen auf offene Ohren. Lieder über Kinderarbeit und Zwangsehen rühren die Mädchen zu Tränen.

Was Regisseurin Rokhsareh Ghaem Maghami an ihrer Protagonistin fasziniert, wird schnell offensichtlich. Von der ersten Sekunde an nimmt diese selbstbewusste, kecke junge Frau die Leinwand und das Publikum für sich ein. Weder in ihrem Heimatland Afghanistan noch im Iran ist es Sonita gestattet, als Solistin aufzutreten. An eine Karriere als Musikerin glaubt sie dennoch felsenfest – und steht damit für die Hoffnung einer neuen Generation, was wiederum den Zuschauern dieses Films Hoffnung macht. Während Sonitas Mutter die Argumente ihrer Tochter gegen eine Zwangsheirat zwar nachvollziehen und aufgrund ihrer eigenen Erfahrungen auch nachempfinden kann, hält sie dennoch stur an dem fest, was das Patriarchat ihr seit jeher als „Tradition“ verkauft. Sonita setzt sich entschieden, aber respektvoll dagegen zur Wehr. Mit jugendlichem Enthusiasmus denkt sie nicht zu viel nach und packt ihre Gefühle in unverblümte Worte. „Ich bin noch ein Kind, erst fünfzehn. / Doch Männer klopfen als Freier an meine Tür“, singt sie in Brides for Sale, um ihren im Lied adressierten Eltern wenige Zeilen später vorzuwerfen: „Wie alle Mädchen bin auch ich gefangen. / Ein Schaf, für den Käufer gezüchtet.“

Rokhsareh Ghaem Maghami hat Sonita zufällig kennengelernt und über einen Zeitraum von drei Jahren mit der Kamera begleitet. Ihr kleines Team, in dem die Regisseurin in einzelnen Szenen selbst die Kamera übernimmt, kommt Sonita sehr nah. Schnell dreht das aufgeweckte Mädchen den Spieß um, stellt der Filmemacherin Gegenfragen, nimmt ihr die Kamera aus der Hand und setzt Ghaem Maghami ins Bild. Als Sonita schließlich verkauft werden soll, wird die Regisseurin endgültig zur Protagonistin ihres eigenen Films. Soll sie einschreiten und Sonita von ihrer Mutter freikaufen? Plötzlich diskutieren auch der Tontechniker und der Kameramann munter mit. Als sich die Regisseurin entscheidet, das Geld zu zahlen, ist der Boden der Neutralität verlassen. Fortan hilft Ghaem Maghami Sonita beim Dreh eines Musikvideos, meldet sie bei einem internationalen Wettbewerb an, vermittelt ihr ein Stipendium in den USA und organisiert ihre Ausreise.

Puristen, die sich jegliche Einmischung eines Dokumentarfilmers in seinen Gegenstand verbitten, mag das aufstoßen, allen anderen Zuschauer schmeckt diese Intervention indes vorzüglich. Ghaem Maghami bildet ihr Dilemma vor der Kamera ab, macht ihr Problem zum Bestandteil ihres Films und bleibt dadurch authentisch. Ganz nebenbei legt Sonita so auch den nicht immer einfachen Prozess des Filmemachens offen. Das Publikum hält da längst zur Protagonistin und gönnt ihr ihre ersten Erfolge. Dabei ist stets klar, dass Sonita all das ohne fremde Hilfe nicht erreicht hätte. Genau so klar zeigt Ghaem Maghami aber auch eine Generation junger Frauen in der islamischen Welt, die eine Veränderung herbeisehnen und die fremde Hilfe dankend annehmen, wenn diese Veränderung aus der eigenen Gesellschaft heraus nicht gelingt. Als Sonita dann endlich auf der Bühne steht, ist das Publikum zwar nicht so groß wie in ihrer Kladde, eine ebenso gute Figur wie Rihanna macht Sonita aber allemal.

Sonita

Eine junge Afghanin, die im Iran lebt, träumt von einer Karriere als Rapperin. Das offizielle Gesangsverbot für Solistinnen stört sie wenig. Als ihr jedoch eine Zwangsehe in ihrem Heimatland droht, gerät mit der Protagonistin auch das Filmteam in ein Dilemma. Regisseurin Rokhsareh Ghaem Maghami hat die Probleme vor und hinter der Kamera in ihrem bewegenden Dokumentarfilm „Sonita“ thematisiert.
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