Songs of Love and Hate

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Zeit des Wandels

„Pubertät“, so lautet ein vertrackt-hintersinniger Satz, „ist die Zeit, in der die Eltern plötzlich komisch werden.“ Natürlich sind es nicht nur die Eltern, die in dieser Phase des Heranwachsens ihrer Kinder eine Wandlung durchlaufen, sondern vor allem die Sprösslinge selbst, deren Blick auf die Welt und damit auch auf die Eltern sich drastisch verändert. Im Falle von Katalin Gödrös‘ Film Songs of Love and Hate ist diese beidseitige Entfremdung zumindest unterschwellig permanent vorhanden. Sie ist das zentrale Motiv und die fundamentale Antriebskraft dieses Dramas, das als Mischung aus Coming-of-age und familiärem Thriller den daraus erwachsenden Spannungen eine sexuelle Komponente an die Seite stellt.
Plötzlich ist alles anders. Eben noch war Lili (Sarah Horváth) ein Kind, nun ist sie auf dem besten Weg, eine Frau zu werden. Es gibt einen ersten Freund (Joel Basman), aber auch die Neugier auf Männer, die erfahrener sind und denen irgendwie etwas Gefährliches anhaftet. Es gibt Widerstände gegen die Eltern, die Suche nach dem eigenen Weg ins Leben, das sich plötzlich vor der Tür des Elternhauses abzuzeichnen beginnt. Und all das sorgt zunehmend für Spannungen, für eine gereizte Atmosphäre – vor allem mit Lilis Vater Rico (Jeroen Willems), der als Winzer am Rande der Alpen den erwachenden Trieben seiner Tochter ebenso hilflos ausgeliefert zu sein scheint wie den Launen der Natur, die die Weinernte bedrohen. In das vormals gute Verhältnis mit Lili schleicht sich nun ein geheimes Begehren ein, das schleichend die Züge eines Spiels um Macht über den anderen, um Anziehung und Zurückweisung annimmt – ohne das irgendjemandem bewusst wäre, was hier genau geschieht.

Dem Verlangen nach seiner Tochter begegnet Rico mit Abwehr und schroffem Verhalten, das Lili wiederum als Zurückweisung interpretiert. Und da sie will, dass alles doch bitte beim Alten bliebe, beginnt sie nun in Verkennung der wahren Motive ihres Vaters um dessen Zuneigung zu buhlen und setzt damit eine Mechanik in Gange, die die jahrelang gewachsene Balance des Familienlebens ernsthaft bedroht. Der Familienhund Prinz fällt dem subtilen Machtkampf als erster zum Opfer, doch er wird nicht das Einzige bleiben…

Es sind vor allem die Darsteller und Katalin Gödrös dezente Regie, aus denen deren filmische Familienaufstellung Songs of Love and Hate ihre Stärke bezieht. Durch die überwiegend zurückhaltenden Dialoge, die erst zwischen den Zeilen die ganze Sprengkraft der Konstellation durchblitzen lassen, deutet Gödrös vieles nur an, statt es explizit auszusprechen und findet damit über weite Strecken sinnfällige Szenen für all das Verborgene, Unausgesprochene und Verdrängte in Lilis Familie.

Nur an einer Stelle wird Gödrös deutlicher: Als Rico wie ein Tier über seine Ehefrau Anna (Ursina Lardi) herfällt und sie auf dem Küchenboden nimmt, wohlwissend, dass Lili zuhause ist und Zeugin des Sexualaktes werden muss, überschreitet der Film ebenso eine Grenze, wie dies auch Rico tut. So sehr diese Sequenz auch aus dem Kontext der sonst vorherrschenden Inszenierungsweise herausfällt, markiert Gödrös damit beinahe unbewusst einen Mangel, der allen Stärken des Films zum Trotz dennoch unübersehbar ist: Die Wucht der Gefühle, die Lili und ihre Familie erfassen, bleibt gerade in der ersten Hälfte viel zu häufig eher behauptet als tatsächlich spürbar, so dass die dramatischen Entwicklungen im zweiten Teil nicht immer glaubwürdig und psychologisch begründet wirken. Und so verfolgt man diesen Film zwar durchaus mit Interesse, aber nicht immer mit dem Maß an Faszination und Anteilnahme, das zumindest als Potenzial in dem Stoff schlummert.

Songs of Love and Hate

„Pubertät“, so lautet ein vertrackt-hintersinniger Satz, „ist die Zeit, in der die Eltern plötzlich komisch werden.“ Natürlich sind es nicht nur die Eltern, die in dieser Phase des Heranwachsens ihrer Kinder eine Wandlung durchlaufen, sondern vor allem die Sprösslinge selbst, deren Blick auf die Welt und damit auch auf die Eltern sich drastisch verändert. Im Falle von Katalin Gödrös‘ Film „Songs of Love and Hate“ ist diese beidseitige Entfremdung zumindest unterschwellig permanent vorhanden.
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Meinungen

Tanja · 08.10.2012

Ein toller Film. Als Mutter von nun erwachsenen Töchtern konnte ich jede Szene nachvollziehen.