Song from the Forest

Eine Filmkritik von Kirsten Kieninger

Ein Mann, ein Lied, der Dschungel und die Pygmäen

Er folgte einem Lied und fand ein anderes Leben. Der US-Amerikaner Louis Sarno hörte als junger Mann im Radio die polyphonen Gesänge der Bayaka Pygmäen. Der fremde Klang hat ihn in Bann gezogen, er folgte ihm bis zu seinem Ursprungsort tief in den zentralafrikanischen Dschungel – und blieb dort.
Der deutsche Reisereporter Michael Obert hat von dem weißen Mann, der noch heute – fast 30 Jahre später – mit den Pygmäen lebt, gehört. Die Geschichte faszinierte ihn derart, dass er auszog um seinen ersten Dokumentarfilm zu machen. Obert hat sich mit Reportagen für Geo oder National Geographic, die Magazine von Zeit und Süddeutscher Zeitung einen Namen gemacht. Das Eintauchen in fremde Länder und Kulturen ist für ihn Reporter-Routine, mit dem Filmprojekt betritt er nun professionelles Neuland.

Obert beweist mit Song from the Forest den richtigen Riecher für eine gute Geschichte und talentierte Filmschaffende helfen ihm dabei, diese auch auf die große Leinwand zu transportieren. Vor allen den Departments Tongestaltung (Timo Selengia), Bildgestaltung (Siri Klug) und Montage (Wiebke Grundler) ist es zu verdanken, dass Oberts Trip in den Dschungel auch einen Besuch im Kino lohnt.

Wobei der Fokus des Films ganz klar nicht auf der (Lebens-)Geschichte seines Protagonisten liegt.
Diese erschließt sich in Mosaikstückchen nebenbei, soweit sie sich denn während des Films überhaupt erschließt. Während Michael Obert genau wusste, wem er da im Urwald gegenüber tritt, wird der Zuschauer – wenn er kein Vorwissen über Louis Sarno hat – mitten im Dschungel zunächst „nur“ mit einem Mann konfrontiert, der mit Mikrofonen dort die Geräusche der Natur einfängt. Dass dieser Mann nun schon seit fast 30 Jahren hier zu Hause ist und mit dem Pygmäen-Stamm zusammen lebt, vor allem dass er zusammen mit einer Bayaka-Frau einen 13-jährigen Sohn hat, das erzählt sich über weite Strecken nur in Andeutungen. Das könnte frustrierend sein, weil vieles im Unklaren bleibt.

Doch es ist die Erhabenheit der Bilder des Dschungels, der Renaissance-Choräle, die sich darüber legen, das Spiel der Montage mit Großstadtdschungel und Urwald-Sounds, die den Film trotzdem tragen. Scheinbar ohne dramaturgischen Bogen fließen Szenen, Bilder, Klänge und Musik der Bayaka. Dazwischen ein paar Sätze von Louis, von Bayaka-Frauen, von Louis‘ Bruder in den USA und von Jim Jarmush, der ganz einfach Louis‘ ältester Freund ist.

Doch plötzlich – und relativ spät – bekommt der Film eine Richtung. Louis hat seinem Sohn Samedi, als dieser als kleines Kind schwer erkrankt war, ein Versprechen gegeben: Sollte er überleben, dann wird er ihm irgendwann seine amerikanische Heimat zeigen. Nun ist die Zeit dazu gekommen, denn Louis‘ Gesundheit ist durch verschiedenste Hepatitis-Erkrankungen mehr als angeschlagen. Also reisen Vater und Sohn aus der Zentralafrikanischen Republik nach New York City, aus dem Regenwald ins Häusermeer. Und spätestens hier zeigt sich: Louis ist kein Wandler zwischen den Welten, zwischen den Gegensätzen, die der Film mittels Bild- und Ton-Montage zusammenführt und gleichzeitig trennt. Louis ist aus der alten Welt längst herausgefallen.

Er wirkt fremd und unglücklich in der Großstadt, sein Sohn dagegen gibt sich unbeeindruckt bis mürrisch, denn er hatte seine eigenen Erwartungen an den Trip, die sein Vater ihm nicht erfüllt. Louis trifft seinen Bruder und Jim Jarmush, besucht einen Arzt und führt mit Samedi auf einer Parkbank vor Hochhauskulisse ein Vater-und-Sohn-Gespräch, hinter dem bei aller Besonderheit der Umstände (und der speziellen Fragen des Sohnes) doch etwas Allgemeingültiges aufscheint: Hier weiß ein Mann, dass er nicht mehr ewig auf der Welt sein wird. Egal ob hier oder dort.
Louis Sarno hat seine Tonaufnahmen von Gesängen, Musik und Urwaldlauten, die er über die Jahre gemacht hat, inzwischen dem Pitt Rivers Museum im englischen Oxford gestiftet (hier online zu hören). Seine Geschichte ist schon 2010 in dem Spielfilm Oka! dramatisiert worden.

Michael Oberts Dokumentarfilm Song from the Forest bietet nun eine authentische Begegnung mit einem außergewöhnlichen Menschen, die einerseits von intensiven Bildern und Klängen lebt, andererseits eine seltsam spröde Annäherung darstellt. Als Subtext schiebt sich ein Gefühl von Vergänglichkeit zwischen die Bilder. Darauf läuft es genau besehen hinaus: Das Leben wird nicht ewig so weitergehen, nicht für Louis und auch nicht für die Bayaka. Bis zum Ende der filmischen Reise wird langsam fassbar, was letztendlich die Poesie von Song from the Forest ausmacht: vieles klingt an, nichts wird ausbuchstabiert. Und zu guter Letzt ist da noch eine eindrucksvolle, äußerst intensive Schlusseinstellung, die den Film direkt, im eigenen Kopf, im eigenen Leben, nachschwingen lässt.

Song from the Forest

Er folgte einem Lied und fand ein anderes Leben. Der US-Amerikaner Louis Sarno hörte als junger Mann im Radio die polyphonen Gesänge der Bayaka Pygmäen. Der fremde Klang hat ihn in Bann gezogen, er folgte ihm bis zu seinem Ursprungsort tief in den zentralafrikanischen Dschungel – und blieb dort.
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