Sommer in Wien

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Das kleine Glück vor der Haustür

Kürzlich erst wurde die renommierte „Quality of Living“-Studie der Unternehmensberatung Mercer veröffentlicht, die nach der weltweit lebenswertesten Stadt fragte. Das Ergebnis lautete – die nicht geringe Anzahl an Liebhabern der österreichischen Hauptstadt dürfte dies nicht wundern – Wien. Walter Größbauers sehr persönliches Stadtporträt Sommer in Wien macht das Urteil auf sympathische Weise nachvollziehbar: Im Lauf des Sommers 2015, als eine Hitzewelle über Europa hereinbrach, folgte er an den heißesten Tagen des Jahres Menschen und ihren Lebenswegen und zeigt so einen Mikrokosmos, von dem man sich bald schon wünscht, man möge ein Teil davon sein.
Das Zentrum des Films bildet dabei die Werkstatt des Klavierbauers Bernhard Balas im 15. Gemeindebezirk, einem Viertel in der Metropole, das noch nicht so aufgehübscht und dementsprechend teuer ist wie andere Quartiere Wiens. Hier geht Balas seit 2004 mit Leidenschaft seinem selten gewordenen Handwerk nach und schafft es, eine einzigartige Atmosphäre zu erzeugen, die dazu geeignet ist, das emotionale Herz von Größbauers Blick in die Stadt zu werden. Das liegt vor allem an Balas selbst: Der pfeift auf das liebe Geld („Ich habe in 20 Jahren keinen großen Profit gemacht – und auch keinen kleinen“), sondern stellt die Hingabe an seine(n) Beruf(ung) in den Mittelpunkt seines Strebens. Und weil der Mann zufällig auch noch passionierter Angler und leidenschaftlicher Koch ist, bereitet er für sich und seine Mitarbeiter in der Küche der Werkstatt fangfrische Karpfen und andere Fische zu, die die Werkstatt schnell in einen Ort der Muse und des Genusses verwandeln. Und was wäre logischer, als die Tische und Stühle in diesem heißen Sommer einfach auf den Gehsteig hinauszustellen und dort zu schmausen, was immer wieder zur Beschwerde eines Grantlers führt, der doch tatsächlich wegen öffentlichen Mittagsessens auf dem Bürgersteig eine Anzeige beim Magistrat einreichte, die aber abschlägig beschieden wurde.

Größbauer und seine Mitstreiterin, Produzentin und Lebensgefährtin Claudia Pöchlauer lassen sich viel Zeit für diese kleine Welt, wie man sie sich idealer kaum erträumen kann – und doch verweilt der Film nicht ausschließlich in der gemütlichen Werkstatt, sondern nimmt sie als Ausgangspunkt für seine Exkursionen in Geschichten und Menschenleben. Dazu gehört beispielsweise der hörbar aus Slowenien stammende Max, der zusammen mit seinem Freund Niklas in einer Wohnung lebt, die so vollgestopft ist mit Antiquitäten, dass man sich in der Behausung viel älterer Menschen wähnt. Was vermutlich daran liegt, dass Niklas als Restaurator arbeitet. Freimütig erzählt Max von seinem Coming-out und wie er seinen Partner kennengelernt hat. Im Habitat ihrer Wohnung hat das fast schon etwas wohltuend Normales und beinahe Spießbürgerliches, das typisch sein könnte für Größbauers Art und Weise der Annäherung an die von ihm Porträtierten. Denn auch wenn sich unter ihnen viele Exzentriker befinden, geht es ihm anders als etwa Ulrich Seidl weniger um die Betonung und das Herausstellen der Andersartigkeit, als vielmehr darum zu zeigen, wie normal das alles ist.

Das gilt beispielsweise auch für Christin, die bis vor kurzem noch Christian hieß und ein Mann war. Sie organisiert gemeinsam mit Andrea ein Begegnungsfest im Schrebergarten am Jedlersee, das von einer großen Vision geprägt ist, die dann aber im organisatorischen Chaos versinkt. Als Dritter im Bunde stellt sich der angehende Schriftsteller John ein, der von der Liebe träumt und vom literarischen Erfolg – doch beides sind eher schwierigere Übungen; vor allem dann, wenn man ein Mensch ist, der eher zur Lethargie neigt, die durch die subtropischen Temperaturen noch verstärkt wird. Doch wenn John die Kamera mitnimmt zu einem Besuch bei seinem Bildhauer-Freund Carlo, dann wird es dennoch leidenschaftlich, denn jener erweist sich als Grantler vor dem Herrn, gegen den selbst berühmte Exemplare dieser typisch wienerischen Gattung wie Chorknaben erscheinen.

Garniert hat Größbauer seine mäandernde Milieustudie mit sommerlichen Impressionen aus dem Freibad, einer Tanzbar und anderen Orten der Stadt, deren Pulsschlag sich bei knapp 40 Grad Celsius spürbar verlangsamt hat, mit vier Liedern des Songwriters Franz Machatschek: „Die Stadt schwimmt im Schwitz, die Haut pickt am Sitz“, heißt es in einem seiner eigens für den Film komponierten Songs. Und natürlich passt auch der Musikus und Maurer mit seiner ganzen Art bestens in die Auswahl der Charaktere, die diesen Mikrokosmos bilden.

Ein herzerwärmender und den Menschen zugewandter Humanismus durchweht diesen sommerglühenden Film und verleiht den Szenen und Fundstücken eine Atmosphäre, die manche Längen verzeiht und zum Verweilen einlädt. Das einzige Manko: Die Geschichten, die man hier sieht, sind insgesamt so interessant und vor allem der Klavierbauer Bernhard Balas ist ein so grundsympathischer Mensch, dass man sich gewünscht hätte, länger oder vielleicht sogar ausschließlich bei ihm zu verweilen. Aber immerhin gibt es zum Abschluss noch einmal eine jener legendären Zusammenkünfte in der Werkstatt des Klavierbauers – ein Konzert auf einem selbstgebauten Klavier steht an. Und dazu lässt es sich der Hausherr natürlich nicht nehmen, wieder den Kochlöffel zu schwingen und groß aufzufahren. Man wäre gern dabei gewesen …

Sommer in Wien

Kürzlich erst wurde die renommierte „Quality of Living“-Studie der Unternehmensberatung Mercer veröffentlicht, die nach der weltweit lebenswertesten Stadt fragte. Das Ergebnis lautete – die nicht geringe Anzahl an Liebhabern der österreichischen Hauptstadt dürfte dies nicht wundern – Wien.
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