Sinister (2012)

Eine Filmkritik von Lida Bach

Böse Bilder

Ein lautloser Totentanz eröffnet Sinister. Ein Elternpaar und seine beiden Kinder zappeln mit Kapuzen über dem Kopf und Schlingen um den Hals an einem Baum vor ihrem Zuhause, bis sie reglos da hängen. Dann ist Schluss mit dem bitterbösen Heimvideo, der Eröffnungsszene von Scott Derricksons Sinister. Das gezeigte Haus gehört nun Ellison Oswald (Ethan Hawke), einem strauchelnden Tatsachenautor. Für die Arbeit an einem neuen Buch zog er bisher an den Tatort des realen Verbrechens, von dem sein Roman handelt. Dieses mal zieht er an den Tatschauplatz selbst und nistet sich mit seiner Frau und den beiden Kindern darin häuslich ein. Das Böse hält schon ein Begrüßungsgeschenk bereit: eine Kiste mit 8-mm-Filmen. Darunter befinden sich die beschriebenen Familienaufnahmen und eine Schreckgestalt, die durch die Bilder zu neuer Bedrohlichkeit wächst.

Den grausig-hypnotischen Super-8-Film, mit dem Sinister beginnt, inspirierte ein Alptraum von Co-Drehbuchautor C. Robert Cargill. Gemeinsam mit Regisseur Derrickson kombinierte er Found-Footage-Horror und Gruselmärchen zu einer ebenso cleveren wie effektiven Horrorstory. Der Kinderschreck daraus ist zu Beginn in Vergessenheit geraten und kaum anders geht es dem zwiespältigen Hauptcharakter. Ellisons guter Ruf als Krimiautor ist am Verblassen; im Gegensatz zu dem schlechten Ruf, den er als Vermarkter polizeilicher Ermittlungsfehler bei den Gesetzeshütern hat. Der Sheriff (Fred Dalton Thompson) des beschaulichen Handlungsorts erinnert sich nur widerwillig an das Ereignis, das den Sensationsschriftsteller anlockt: das ungeklärte Verschwinden der Tochter (Victoria Leigh) der ermordeten Vormieter. Sie beschäftigen Ellison bald mehr als seine eigene Familie. Ehefrau Tracy (Juliet Rylance) entfremdet sich von ihm, Tochter Ashley (Clare Foley) plagt Heimweh und die Alpträume ihres Bruders Trevor (Michael Hall D’Addario) werden schlimmer. Doch Ellison hat buchstäblich nur Augen für die brutalen Videos, die er immer wieder in seinem Arbeitszimmer anschaut.

Während Trevor im Schlaf die Produkte seiner Fantasie quälen, studiert sein Vater hellwach die Produkte der kranken Fantasie des Mörders. Jeder der Filme dokumentiert den Tod einer Familie, die in dem Haus lebte, und betont die Gefahr, der Ellison seine Nächsten aussetzt. Ethan Hawke zeigt hinter dem beruflichen Ehrgeiz des Hauptcharakters masochistischen Voyeurismus. Gerade darauf zielt der Killer ab. Seine Amateuraufnahmen scheinen nur darauf gewartet zu haben, dass der Krimiautor sie in einen Projektor legt. Dabei ähnelt die Perspektive des Protagonisten der des Zuschauers. Die zugleich abgestoßene und begierige Aufnahme des Gezeigten verweist auf eine Doppelmoral, mit der sich besonders das Horrorgenre stets aufs Neue auseinandersetzen muss: die Lust am Schauen bei der gleichzeitigen Verdammung des Gezeigten. Die Handlungskulisse, die dem Titel mehr als gerecht wird, nimmt ihren Platz in der Reihe denkwürdiger Kino-Horrorhäuser wie Hell House und dem Haus des Amityville Horror ein. Die versteckte Bedrohung im Zuhause der Oswalds erzeugen Derrickson und Cargill mit vorzugsweise mit psychologischen Stilmitteln, die im zeitgenössischen Gruselkino so rar geworden sind, dass sie fast innovativ wirken.

Konventionelle Schreckmomente fehlen dennoch nicht und dämpfen eher die verstörende Atmosphäre, als sie zu verstärken. Die Spannung des durchdachten Horrorwerks beruht auf der Ahnung sich unaufhaltsam nähernden Übels und unterdrückter Verworfenheit, die stückweise an die Oberfläche dringt. Das Furchtbare in den Videos wird immer greifbarer und Ellison ist schließlich überzeugt, in einer Gestalt auf den Filmen das personifizierte Böse entdeckt zu haben.

Oder hat die Mischung aus Boogie Man und uralter Gottheit mit kalkweißem Gesicht und schwarz umrandeten Augen ihn entdeckt? Die Antwort, die Sinister darauf gibt, überzeugt als Kommentar auf das Machtverhältnis zwischen Schreckgespenst und Zuschauer ebenso sehr wie als abgründiger Horrorgenuss.
 

Sinister (2012)

Ein lautloser Totentanz eröffnet „Sinister“. Ein Elternpaar und seine beiden Kinder zappeln mit Kapuzen über dem Kopf und Schlingen um den Hals an einem Baum vor ihrem Zuhause, bis sie reglos da hängen. Dann ist Schluss mit dem bitterbösen Heimvideo, der Eröffnungsszene von Scott Derricksons „Sinister“.

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