Shit Year

Eine Filmkritik von Beatrice Behn

Großes Avantgarde-Kino oder prätentiöser Bockmist?

Shit Year ist einer dieser Filme, der – je nach Blickwinkel des Betrachters – entweder großes experimentelles Avantgarde-Kino mit einem Schuss Neorealismus oder ein Stück prätentiöser Bockmist ist. Diese Rezension möchte keine der beiden Seiten argumentativ fördern. Was kann also über diesen Film gesagt werden, außer dass er definitiv ein cineastisches Wagnis ist?
Fest steht, dieser Film ist vor allem Eines: Ellen Barkin. Sie spielt eine in die Tage gekommene, amerikanische Schauspielerin namens Colleen West. Das tut sie grandios und mit einem unendlichen Facettenreichtum, weshalb Shit Year an Sunset Boulevard und Endstation Sehnsucht erinnert. Nur dass dieses Werk nicht mit viel Pathos und Drama angereichert wurde, sondern mit einem surrealen Mix aus Fantasien, Simulationen und Erinnerungen. Der komplett in schwarz-weiß gehaltene Film erzählt in inkonsistenter, nicht stringenter Art und Weise die Geschichte des letzten Jahres der Schauspielerin – ein „shit year“, das verrät ja schon der Titel. Colleen West hat nach ihrem letzten Theaterstück dem Schauspiel den Rücken zu gekehrt, dabei noch ihren blutjungen Nebendarsteller in eine Affäre mit sich verwickelt, unter deren Ende sie jetzt leidet. Ihr Agent schreibt ihr einen Abschiedsbrief aus Hollywood und Colleen zieht sich in die Berge zurück. Ihr Leben wird vor allem bestimmt von Einsamkeit und der Angst, wie sie einmal sagt, davor, dass sie bald schon nichts mehr zu verlieren hat.

So richtig viel mehr kann man zum Film gar nicht sagen. Der Rest ist eine surrealistische Mixtur aus verschiedenen Sequenzen, die weder in Realität oder Fiktion unterschieden werden können, noch können sie zeitlich (und manchmal gar örtlich) eingereiht werden. Mit Logik ist dem Werk mitunter nicht bei zukommen, man muss es eher erfühlen und sich auf seine Welt einlassen, die mit unter wie ein halluzinatorischer Drogentrip daherkommt. Dieser wird nicht nur durch die faszinierende Kameraarbeit, sondern vor allem durch das Sound Design unterstrichen. Und nicht zuletzt, und dahin kehrt auch der Film immer wieder zurück, durch Ellen Barkins Gesicht in Großaufnahme, in der ihre Schmolllippen noch größer wirken, ihre Augen noch faltiger, ihr Antlitz noch verlebter – und doch diese harschen Nahaufnahmen, die ihr Gesicht erkunden, zeigen vor allem, dass diese Frau viel mehr ist als die Gesamtheit ihrer Einzelteile.

Cam Archer, der Regisseur, ist noch keine dreißig Jahre alt. Sein erster Film Wild Tigers I Have Known wurde von keinem Geringeren als Gus van Sant persönlich protegiert. Es heißt Archer habe auf die Frage, ob Hollywoodfilme Einfluss auf seinen Stil gehabt hätten, geantwortet, dass es ihn einen Scheißdreck interessiere, was andere so machen. Diese Einstellung lässt sich auch in Shit Year wieder finden. Was bleibt ist die eingangs gestellte Frage. Ist der Film neues Avantgarde-Kino oder pseudo-anspruchsvoll? Die Antwort lässt sich nur an einem Ort finden – im Kino.

Shit Year

„Shit Year“ ist einer dieser Filme, der – je nach Blickwinkel des Betrachters – entweder großes experimentelles Avantgarde-Kino mit einem Schuss Neorealismus oder ein Stück prätentiöser Bockmist ist. Diese Rezension möchte keine der beiden Seiten argumentativ fördern. Was kann also über diesen Film gesagt werden, außer dass er definitiv ein cineastisches Wagnis ist?
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