Schule, Schule - Die Zeit nach Berg Fidel (2017)

Eine Filmkritik von Bianka Piringer

Vom Erwachen in der Leistungsgesellschaft

Mit dem Aufbau eines inklusiven Bildungssystems tut sich die deutsche Gesellschaft immer noch schwer. Das liegt wohl nicht zuletzt daran, dass Kinder hierzulande nach der vierjährigen Grundschulzeit ihren Noten entsprechend auf verschiedene Schularten aufgeteilt werden. Auf dem Gymnasium beispielsweise mit seinem elitären Selbstverständnis ist man dann auch eher nicht auf Schüler mit besonderem Förderbedarf oder mit Handicaps wie zum Beispiel einer Hörbeeinträchtigung eingestellt.

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Viele Zuschauer des Dokumentarfilms Berg Fidel – Eine Schule für alle aus dem Jahr 2011 können sich wohl noch an den kleinen, hochintelligenten David erinnern, der Astronom werden wollte. Am Ende der filmischen Langzeitbeobachtung, die Hella Wenders an jener inklusiven Grundschule in Münster anstellte, war zu erfahren, dass David in der Nähe kein Gymnasium fand, das ihn aufnehmen wollte. Der Junge ist nämlich, zusätzlich zu seiner eingeschränkten Sehfähigkeit, hörbeeinträchtigt. Wie es mit David und seinem Bruder Jakob, der das Down-Syndrom hat, mit dem Flüchtlingskind Anita aus dem Kosovo und mit Samira nach der gemeinsamen Grundschulzeit weiterging, zeigt Wenders nun in dem Fortsetzungsfilm Schule, Schule – Die Zeit nach Berg Fidel.

Die vier Kinder sind nun in der Pubertät, sie interessieren sich weniger für schulische Leistungen als für Freunde und Musik. David spielt Klavier und komponiert Songs. Einer wird auf der Jahresabschlussfeier seiner privaten Montessorischule aufgeführt und bildet einen wichtigen Teil der Filmmusik. Auch Jakob geht auf die Montessorischule. Er ist zu einer regelrechten Persönlichkeit gereift, sein Elan und sein Humor wirken ansteckend. Das Adoptivkind Samira besucht die 6. Klasse einer Gesamtschule und sorgt sich sehr um seinen sozialen Status. Es bereitet dem Mädchen großen Kummer, dass seine Noten nicht so gut sind wie die der besten Freunde. Das bedeutet, dass sie wahrscheinlich bald von ihnen im Schulunterricht separiert wird. Anita ist schon 16 Jahre alt und hat auf der Förderschule für Lernbehinderte keinen Hauptschulabschluss geschafft. Den möchte sie jetzt in einer Orientierungsklasse an der Berufsschule nachholen, hat aber andererseits wenig Lust, regelmäßig zum Unterricht zu kommen.

Auch in diesem Fortsetzungsfilm bezieht Wenders Position. Indirekt, in der Beobachterrolle, die sie nur gelegentlich mit Kommentaren und mit Fragen an die Protagonisten durchbricht, macht sie den schädlichen Einfluss von Notenstress und Anpassungsdruck sichtbar. Die aufgeweckte Samira registriert sehr wachsam, wie schon geringe Abweichungen von den Normen einer Peergroup zur Ausgrenzung führen können. So hat sie auch gelernt, Noten zu fürchten, die womöglich den Verlust sozialer Kontakte bedeuten. David, dem das Lernen leichtfällt, ist immer noch kein Verteidiger des Notensystems geworden. In einer Diskussion mit anderen Schülern bekommt er das sattsam bekannte Argument zu hören, dass Noten auf das Leistungsprinzip im Berufsleben vorbereiten. Er bezweifelt das – seine Erfahrungen in Berg Fidel, wo keine Noten vergeben wurden, haben ihn weniger anfällig für solche vorgefertigten Meinungen gemacht.

Erneut bewegen die Schicksale der vier Porträtierten, die bereits erste Rückschläge im Leben zu verarbeiten hatten. Aus dem behüteten Nest der gemeinsamen Grundschule geworfen, erfahren sie, wie wenig die Gesellschaft bereit ist, sich auf Jugendliche mit individuellen Lern- und Förderbedürfnissen einzulassen. Am Ende dieser einjährigen Beobachtungszeit gibt es zwar Etappensiege wie Anitas Hauptschulabschluss zu verzeichnen, doch ebenso neue Enttäuschungen.

Wenders schneidet zum Vergleich mit früher immer wieder Ausschnitte aus ihrem ersten Film dazwischen. Da sieht man die Kleinen in der Grundschule diskutieren, Konflikte austragen, in der Gemeinschaft wachsen. Diese Rückblenden entschädigen auch ein wenig für das fehlende verbindende Element, das der gemeinsame Schulalltag im ersten Film darstellte. Anita, Samira, David und Jakob blieb es verwehrt, länger als über die vierte Klasse hinaus in Berg Fidel zu bleiben. Inzwischen hat jener inklusive schulische Modellversuch einen neuen Namen bekommen — Primus-Schule Münster – und ermöglicht nun gemeinsames Lernen bis zur 10. Jahrgangsstufe. Vielleicht dreht Wenders ja mal wieder einen Film dort oder an einer anderen Schule mit inklusiver, integrierender Pädagogik. Denn für die Bildungsdebatte, die so viele Menschen interessiert, sind positive Schulbeispiele abseits ausgetretener Pfade ungeheuer wichtig.
 

Schule, Schule - Die Zeit nach Berg Fidel (2017)

Mit dem Aufbau eines inklusiven Bildungssystems tut sich die deutsche Gesellschaft immer noch schwer. Das liegt wohl nicht zuletzt daran, dass Kinder hierzulande nach der vierjährigen Grundschulzeit ihren Noten entsprechend auf verschiedene Schularten aufgeteilt werden.

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