Sagrada

Eine Filmkritik von Verena Schmöller

Großprojekt der Generationen

Der christliche Glaube scheint die zweite Hälfte dieses Kinojahres mitzubestimmen. Nach Spielfilmen wie Wer’s glaubt, wird selig, Omamamia und Jesus liebt mich kommt nun mit Sagrada eine Dokumentation über eine der imposantesten Kathedralen des Christentums in die deutschen Kinos. Und während Fernsehhits wie Die Säulen der Erde und Die Tore der Welt die Baumeister im England des Mittelalters zu ihren Hauptfiguren machen, stellt der Film von Stefan Haupt den zeitgenössischen Bau einer Kathedrale in sein Zentrum: den des Temple Expiatori de la Sagrada Família in Barcelona. Ob der Film wirklich ins Kino gehört oder nicht vielleicht – in einer gekürzten Version – fürs Fernsehen besser geeignet wäre, ist Ansichtssache. Spannend ist die Geschichte der Kathedrale und der Menschen, die an ihr mitbauen, allemal.
Sagrada präsentiert die Sagrada Família in ihrer Geschichte, aber auch ihre heutigen Probleme und Ereignisse wie den Besuch des Papstes im Jahr 2012, und er portraitiert vor allem diejenigen, die an der Kathedrale mitwirken: Architekten, Künstler, Restauratoren und die Arbeiter, die der bisherigen Kirche das Stahlgerüst ihres noch fehlenden Hauptturms aufsetzen. Der Film erzählt vom ersten Grundriss und den ersten Plänen, konzentriert sich aber auf den Bau von Antoni Gaudí, der uns heute so geläufig ist. Und damit erzählt Sagrada auch aus dem Leben des Künstlers und Architekten Antoni Gaudí, der wie kein Anderer in Barcelona seine Spuren hinterlassen hat. Die Sagrada Família ist sein größtes Unterfangen gewesen, aber auch sein Herzprojekt, das ihn bis zu seinem Tod im Jahr 1926 nicht losgelassen hat.

Das Spannende an der Kathedrale ist, dass sie bis heute noch nicht fertig ist und man als Besucher eine Baustelle betreten kann, wie sie eben in den Romanen von Ken Follet beschrieben wird. Ein Großprojekt, das 1882 begonnen wurde, auf viele Jahrzehnte hin angelegt ist und Generationen von Arbeitern an sich mitgestalten lässt. Im Film wird dies deutlich am Gespräch mit den Zeitzeugen, deren Väter schon an der Kathedrale gebaut haben und deren Kinder weiter daran arbeiten könnten.

Dabei zeigt der Film auch, wie schnell sich Gesellschaft und Zeitgeist in den vergangenen hundert Jahren geändert haben, seitdem an der Sagrada Família gebaut wird. Diese Veränderungen entfachen auch immer wieder die Diskussion um den Weiterbau: Soll die Sagrada Família so gebaut werden, wie sie von Gaudí konzipiert wurde, oder soll sie vielmehr ein Zeugnis ihrer Zeit sein? Was ist ein Schaffensprozess? Diese Frage, so macht der Film deutlich, stellt sich jeder Architekt, jeder Künstler, jeder Handwerker, der am Bau der Sagrada Família beschäftigt ist.

Besonders reizvoll ist die Gegenüberstellung zweier völlig unterschiedlicher Künstler. Der eine, Joan Vila-Grau, Glasmaler und beim Bau der Sagrada Família zuständig für die kreative Konzeption der Ausgestaltung der Kirchenfenster, hat sich jahrzehntelang in der abstrakten Kunst betätigt und kann, wie er sagt, auch nur so weiterarbeiten. Er würde sich selbst verraten, wenn er die Fenster nicht abstrakt, sondern so malen würde, wie Gaudí sie sich vorgestellt habe. Bildhauer Etsuro Sotoo hingegen versucht mit allen Kräften, Gaudí bis ins letzte Detail zu verstehen. Denn so versteht er sich als Künstler und Mitwirkender an der Kathedrale. Er will die Kathedrale und damit auch die Welt aus dem Blickwinkel von Gaudí betrachten.

Der ehemalige Zen-Buddhist ist wohl die seltsamste und deshalb auch die interessanteste Person, die der Film portraitiert. Etsuro Sotoo ist für sein Engagement beim Bau der Sagrada Família zum Katholizismus übergetreten. Nur dann könne er Gaudí verstehen und in seinem Sinne arbeiten. Für Sotoo ist das Leben eine Suche, ein Weg, der ihn zur Baustelle der Sagrada Famíla geführt hat. Und das ist dann wieder eine ganz buddhistische Sichtweise, die Sotoos Arbeiten prägt und damit die Sagrada Família nicht nur ein Bauwerk des Christentums sein lässt.

Schade allerdings ist, dass der geschichtliche Abriss der Geschichte der Sagrada Família die Franco-Zeit fast auslässt. Gerade diese Zeit in Spanien, in der die Kirche eine wichtige Säule des Regimes darstellte, in der jedoch auch die Nationalismen unterdrückt wurden – und die Sagrada Família ist auch Ausdruck des katalanischen Nationalstolzes –, wäre es wert gewesen, besonders unter die Lupe genommen zu werden. Was passierte in diesen Jahrzehnten mit dem Bau: Wurde er unterstützt? Wie stand das Regime zur Sagrada Família? Diese Fragen lässt Sagrada leider offen.

Der Film ist sowohl spannend als auch lehrreich und lohnt sich für alle, die sich mit der spanischen Kultur beschäftigen, sich für Kirchenbau interessieren oder nach Barcelona fahren. Wen der Stoff interessiert, der schaut sich auch eine 90-Minuten-Doku an. Für die Fernsehausstrahlung sollte man jedoch insgesamt über eine kürzere, kondensierte Version nachdenken.

Sagrada

Der christliche Glaube scheint die zweite Hälfte dieses Kinojahres mitzubestimmen. Nach Spielfilmen wie „Wer’s glaubt, wird selig“, „Omamamia“ und „Jesus liebt mich“ kommt nun mit „Sagrada“ eine Dokumentation über eine der imposantesten Kathedralen des Christentums in die deutschen Kinos.
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