Rosemari

Eine Filmkritik von Sonja Hartl

Mütter und Töchter

Ein nackter männlicher Oberkörper. Eine Frau, die sich anzieht. Begehrende Blicke. Dann sagt sie Frau, sie könnten sich nicht mehr sehen. Denn sie würde heiraten. Damit beginnt Sara Johnsens Film Rosemari, der als Eröffnungsfilm bei den Nordischen Filmtagen 2016 in Lübeck eine wunderbar sperrige, ja, fast widerspenstige Wahl ist. Denn dieser Film macht es sich und dem Publikum nicht leicht mit seinen Figuren: Die Frau, die heiratet, ist Unn Tove (Tuva Novotny) und sie heiratet nicht den Mann, den sie begehrt, sondern Jonas. Auf ihrer Hochzeitsfeier entdeckt sie auf der Toilette ein neugeborenes Baby, einfach zurückgelassen von der Mutter. Sie nimmt es in den Arm, ein Krankenwagen wird verständigt. Es ist nicht alles zu sehen, was passiert, Szenen werden ausgelassen, die nicht nur mit dem Baby, sondern auch mit Unn Tove zu tun haben. 16 Jahre später steht das Kind von einst vor Unn Toves Tür: Nur ihr Name taucht in der Akte auf, die von den Umständen ihrer Geburt zeugt. Deshalb glaubt Rosemari (Ruby Dagnall) – und auch das Publikum für einen kurzen Moment –, dass Unn Tove vielleicht ihre Mutter sei. Aber sie ist es nicht. Vielmehr beschließt die mittlerweile geschiedene Unn Tove, Rosemari bei der Suche nach ihren Eltern mit der Kamera zu begleiten.
Rosemari behandelt weibliche Identitäten, die Fragen, wer unsere Geschichten erzählt, wer unsere Vergangenheiten rekonstruiert und wer entscheidet, was uns letztlich bestimmt. Dabei treffen alle Frauen in diesem Film irritierende Entscheidungen: Unn Tove schon zu Beginn mit der Wahl ihres Ehemannes, doch selbst das Scheitern ihrer Ehe bringt sie nicht zu dem bereits damals begehrten Klaus (Tommy Kenter), der mittlerweile als Koch arbeitet und zu dem sie immer noch Kontakt hat. Er sei verrückt, unzuverlässig, vor allem passe er vom „Hintergrund“ her nicht zu ihr, der Journalistin, sagt sie, als wolle sie sich selbst überzeugen. Dabei ist für alle offensichtlich, wie sehr sich diese beiden zueinander hingezogen fühlen. Deshalb wäre es einfach Unn Toves Entscheidung zu hinterfragen, aber sie hat doch einiges für sich, vielleicht reicht Begehren als Basis einer Ehe tatsächlich nicht aus. Und dann ist da in diesem Film Rosemari, großartig gespielt von der Debütantin Ruby Dagnall, mit ihren kurz geschnittenen Haaren und leicht linkischen Bewegungen, die besessen von dem Gedanken ist, ihre leibliche Mutter zu finden, obwohl sie bei ihren Pflegeeltern ein gutes Leben hat. Sie lässt sich filmen bei der Suche für eine Fernsehsendung und gibt damit die Deutungshoheit über sich und ihre Herkunft größtenteils in fremde Hände. Schon bald sieht sie sich mit einer Geschichte konfrontiert, die sie weder hören noch glauben will. Und schließlich ist da Rosemaris Mutter, die verstörende Entscheidungen getroffen hat, vor, während und nach der Geburt. Und die sich weiterhin schwertut, die Konsequenzen zu tragen. Aber selbst sie kann man nicht verurteilen, denn die menschliche Psyche ist schwierig, sie ist widersprüchlich, sie ist nicht leicht zu verstehen. Es gibt Geheimnisse, die wollen wir nicht preisgeben, die wollen wir nicht enthüllen. Sei es, um nicht mit den Konsequenzen zu leben, oder sei es, um die bereits selbst empfundene Scham nicht öffentlich zu machen.

Es ist heutzutage allzu selten, dass ein Film gleich mehrere komplexe weibliche Figuren hat, deren Stränge zusammenhängen, aber doch nicht auserzählt werden, sondern in denen vieles der Deutung des Zusehenden überlassen wird. Dabei umschifft Sara Johnsen, die auch das Drehbuch geschrieben hat, in ihrem Film gekonnt Sentimentalitäten und allzu dramatische Entwicklungen, sondern konzentriert sich auf die stillen Momente, auf die Auswirkungen der Entscheidungen. Dank eines sehr guten Schauspielerensemble und fein eingestreutem Humor ist Rosemari somit ein Film, der Fragen aufwirft, ja, der den Zuschauer mit Fragen regelrecht konfrontiert – und deshalb lange nachwirkt.

Rosemari

Ein nackter männlicher Oberkörper. Eine Frau, die sich anzieht. Begehrende Blicke. Dann sagt sie Frau, sie könnten sich nicht mehr sehen. Denn sie würde heiraten. Damit beginnt Sara Johnsens Film „Rosemari“, der als Eröffnungsfilm bei den Nordischen Filmtagen 2016 in Lübeck eine wunderbar sperrige, ja, fast widerspenstige Wahl ist. Denn dieser Film macht es sich und dem Publikum nicht leicht mit seinen Figuren:
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