Rammstein: Paris

Eine Filmkritik von Falk Straub

Feuer, Qualm und heiße Luft

Rammstein ist eine der erfolgreichsten, aber auch umstrittensten Bands weltweit. Man liebt sie oder man hasst sie. Regisseur Jonas Åkerlund ist nun ein kleines Kunststück gelungen. Weder werden Fans diesen Konzertfilm abgöttisch verehren noch werden Kritiker ihn verteufeln: Rammstein: Paris ist ein (über)ambitioniertes Dazwischen.
Zischend senkt sich ein stählerner Steg von der Decke. Die Hydraulik, die ihn antreibt, stößt Dampf in die Arena. Irgendwo von rechts hinten schrillt eine Sirene, als die sechs Musiker mit Fackeln und Fahnen den Palais Omnisports betreten. Der Weg zur Bühne ist unendlich lang, die Anspannung greifbar. Mehrfach wechselt die Kamera ihre Perspektive, blickt mal wie ein Vogel, mal im Look einer Überwachungskamera, mal in Farbe, mal in Schwarz-Weiß auf das Geschehen. Mit versteinerten Mienen überqueren die Bandmitglieder den Steg, der von einem winzigen Quader in der Hallenmitte nach vorn reicht. Über ihre Fans hinweg steigen sie auf die Bühne. Dann tritt Till Lindemann ans Mikrofon, zählt den Song Sonne ein. Als die Gitarren die Stille zerreißen, bricht die Hölle los. Funken sprühen, Flammen schießen empor, das Publikum glüht.

Jonas Åkerlund zeichnet für diese Bilder verantwortlich. Er ist der Provokateur unter den Musikvideo-Regisseuren. Die Band, die er an zwei aufeinanderfolgenden Abenden im März 2012 in Paris filmt, ist eine Provokation. Mit ihrer Show aus Feuer, Sex und harten Tönen passt Rammstein perfekt zum Schweden. Der hat als Schlagzeuger selbst eine kurze Vergangenheit als Schwermetaller, bevor er mit seinen Videoclips die eine oder andere Kontroverse auslöste. Die visuelle Umsetzung von The Prodigys Smack My Bitch Up (1997) geht ebenso auf sein Konto wie Metallicas Turn the Page (1998) und Whiskey in the Jar (1999) oder Robbie Williams’ Come Undone (2003). Es müssen aber nicht immer Partygelage mit nackter Haut und Drogen sein. Åkerlund liebt das Experiment. Smack My Bitch Up drehte er aus subjektiver Sicht, Christina Aguileras Ballade Beautiful (2002) schwarz-weiß und in nur einer einzigen Einstellung. Åkerlunds erster Spielfilm Spun (2002) provozierte sein Publikum hingegen mit einer Schnittfrequenz, die der Schwede in bislang ungesehene Höhen schraubte. Durchschnittlich alle 1,2 Sekunden knallte er seinen Zuschauern ein neues Bild aufs Auge.

Ähnlich ambitioniert geht der Regisseur seinen Konzertfilm an. Knapp 30 Kameras auf und abseits der Bühne fangen jeden der Musiker gleich aus mehreren Perspektiven ein. Während der Generalprobe gefilmte Aufnahmen besorgen die nötigen Close-ups. Åkerlund und Adrianna Merlucci schneiden wild zwischen den Einstellungen hin und her, scheinbar assoziativ, doch stets mit Sinn und Verstand und perfekt auf das Stakkato von Paul Landers‘ und Richard Z. Kruspes Gitarren oder Christoph Schneiders Trommelschläge abgestimmt. Wenn Sänger Till Lindemann in extremer Untersicht zu sehen ist und der Regisseur ihm in der Postproduktion eine gespaltene Reptilienzunge verpasst, schaudert einen. Rammsteins flammendem Inferno setzt Åkerlund sein ganz eigenes Bildergewitter entgegen: ein brachialer audiovisueller Höllentrip.

Ein Großteil der Pariser Konzertbesucher dürfte kein Wort von dem verstehen, was ihnen Till Lindemann entgegenbelfert. In Rammsteins Kunstkosmos aus Feuer, Schweiß und Stahl, in den sich das Publikum für eineinhalb Stunden begibt, spielt das keine Rolle. Hier regieren Pathos und große Geste, die jenseits jeder Sprachbarriere in Europa ebenso verstanden werden wie in Asien oder Amerika. Wie kein anderer deutscher Act haben Rammstein früh in ihrer Karriere das Showmanship amerikanischen Zuschnitts begriffen. Hier ist alles Inszenierung. Hier sitzt jeder Griff, macht keiner einen falschen Schritt, wenn die Gitarristen im Takt über die Bühne marschieren. Die fünf Musiker sind längst zu Kunstfiguren geworden wie David Bowies Ziggy Stardust, wie die Masken-Rocker von Kiss, wie Madonna, Marilyn Manson oder Lady Gaga, wenn sie sich mit jedem neuen Album neu erfindden.

All der Feuerzauber macht Rammsteins Show auch beinahe 20 Jahre nach ihrer Gründung sehenswert. Die Präzision, mit der sie diese exekutieren, macht das Gezeigte aber vor allem eins: vorhersehbar. Die Sticheleien zwischen Lindemann und Keyboarder Christian „Flake“ Lorenz, die für Lorenz während Mein Teil im Kochtopf, bei Bück dich in der Penetration mit einem Dildo enden, Lindemanns Ritt auf der Seifenblasen sprühenden Peniskanone (Pussy), seine Flammen speienden Flügel (Engel) – all das mag Neulinge beeindrucken, Fans kennen es längst von früheren Rammstein-Auftritten. Insgesamt läuft die Performance ein bisschen zu geschmiert, wie eine gut geölte (deutsche) Maschine. Was dieser fehlt, sind unerwartete Aussetzer und Interaktion. Doch Jonas Åkerlund zeigt keine davon, weder Ansagen ans Publikum noch ausreichend von dessen Reaktionen. Zu hören sind die Zuschauer ebenfalls kaum, da der teils glasklare Sound zwar knüppelhart im Kinosaal ankommt, die Möglichkeiten des Dolby-Atmos-Systems aber sträflich vernachlässigt.

Dass wir uns nicht falsch verstehen: Rammstein: Paris ist ein hochklassiger Konzertfilm und der bis dato ambitionierteste über die Gruppe, gerade deshalb aber nicht der beste (das ist immer noch Matthew Amos‘ Rammstein: Live from Madison Square Garden). Denn Åkerlunds Ambitionen und seine technische Perfektion stehen einem echten Live-Erlebnis im Weg. Ein bisschen ist dieser Film wie die Band selbst: faszinierend anzusehen, perfekt choreografiert, aber eben auch viel heiße Luft.

Rammstein: Paris

Rammstein ist eine der erfolgreichsten, aber auch umstrittensten Bands weltweit. Man liebt sie oder man hasst sie. Regisseur Jonas Åkerlund ist nun ein kleines Kunststück gelungen. Weder werden Fans diesen Konzertfilm abgöttisch verehren noch werden Kritiker ihn verteufeln: „Rammstein: Paris“ ist ein (über)ambitioniertes Dazwischen.
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