Peaches Does Herself

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

She’s an Alien

Peaches Does Herself ist ein Konzertfilm – und noch weitaus mehr als das: Die Electroclash/Synth-Punk-Künstlerin Peaches, die im Jahre 1966 unter dem Namen Merrill Beth Nisker in Toronto geboren wurde, hat aus dem Material von insgesamt zehn Auftritten im Berliner Off-Theater HAU eine bizarre Pop-Oper geschaffen, in der Gesang, Rap und Tanz, Burlesque-Nummern, Horroreinlagen, Nebel- und Lichteffekte sowie extravagante Kostüme und Requisiten filmisch erfasst werden. Das Ergebnis dieser Zusammenführung ist eine wilde, wüste, witzige Performance-Art-Wundertüte, die alle Peaches-Fans ohne Frage glücklich machen (einige andere hingegen wohl ein wenig irritieren) wird.
Etwa 20 Songs aus ihren bisherigen Alben dienen der Musikerin dazu, die fantasievoll irrealisierte Geschichte ihrer künstlerischen Entwicklung zu erzählen. Es beginnt in der Teenagerzeit, in der Peaches in ihrem Schlafzimmer auf einem gewaltigen, Zauberwürfel-artigen Bett sitzt und nach Inspirationen sucht. Just im Augenblick größter Ratlosigkeit schwebt ein überdimensionales, Vagina-förmiges UFO herab, aus welchem eine recht verlebt aussehende, der Generation 60+ angehörende Stripperin hervortritt und prompt ein paar frivol-derbe Denkanstöße offeriert. Kurz danach schlüpft aus Peaches‘ Riesenbett eine Gruppe von Tänzern in engen Ganzkörperanzügen heraus – womit eine sowohl musikalische als auch sexuell-amouröse (Selbst-)Erkundungsreise ihren Lauf nimmt.

Klingt bizarr? Das ist es auch. Vor allem aber ist es eines: großartig! Als äußerst clever erweist sich der Einfall, der erotisch aufgeladenen Show einen akademischen Prolog voranzustellen. Ein schwarz gekleideter Dozent (verkörpert von dem österreichischen Schauspieler Armin Dallapiccola) hält auf der leeren Bühne eine Rede, in welcher er all die klugen Dinge über Peaches sagt, die man auch als Filmkritiker in der Rezension über Peaches Does Herself ausführlich zu erläutern gedachte: Etwa wie im Gesamtkunstwerk „Peaches“ mit der Umkehr von Geschlechterklischees gearbeitet wird und wie es dem Underground-Star gelingt, die sexualisierte Sprache und die obszönen Gesten der (Pop-)Musikindustrie zu Empowerment-Zwecken einzusetzen. Der Redner nennt den gender- und queertheoretisch sehr bedeutsamen Begriff der Heteronormativität und erwähnt Michel Foucault; ergänzen ließe sich da vielleicht nur noch Judith Butler mit ihrem Buch Gender Trouble.

Der Vortrag des Mannes wird jedoch jäh unterbrochen, als sich der Vorhang öffnet und die Two-Women-Band Jolly Goods den Peaches-Song Rock Show performt, ehe die Sängerin dann höchstselbst für Stimmung sorgt. Die Botschaft ist klar: Dem abgespaceten Treiben, das sich dem Zuschauer im Folgenden darbietet, ist zweifelsohne ein profundes Nachdenken über Genderfragen und Queerness vorausgegangen. Aber man soll doch trotzdem bitte den Spaß an der Sache nicht vergessen!

Und Spaß zu haben – das fällt einem hier wirklich nicht schwer. Ob Peaches nun in pinkfarbener Unterwäsche, Flashdance-Sweater und Glitzer-Stulpen die Jugendlich-Suchende gibt, sich grell geschminkt und im absurden Glam-Rock-Outfit exzessiv verausgabt oder auf einem Grusel-OP-Tisch zu einem intersexuellen Menschen wird – stets versteht es die Künstlerin, ihr Publikum zu begeistern. Zu den Highlights zählt die Interpretation der Ballade I Feel Cream – und das Finale, in welchem Peaches die Bühne und schließlich das Gebäude verlässt, um auf einem Harley-ähnlichen Fahrrad wie eine außerirdische Lebensform durch die Straßen von Berlin zu radeln und F*ck the Pain Away zu singen.

Peaches Does Herself

„Peaches Does Herself“ ist ein Konzertfilm – und noch weitaus mehr als das: Die Electroclash/Synth-Punk-Künstlerin Peaches, die im Jahre 1966 unter dem Namen Merrill Beth Nisker in Toronto geboren wurde, hat aus dem Material von insgesamt zehn Auftritten im Berliner Off-Theater HAU eine bizarre Pop-Oper geschaffen, in der Gesang, Rap und Tanz, Burlesque-Nummern, Horroreinlagen, Nebel- und Lichteffekte sowie extravagante Kostüme und Requisiten filmisch erfasst werden.
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