Pawlenski - Der Mensch und die Macht

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Schmerzvolle Kunst als Akt des Widerstands

Es ist ein ungleicher Kampf, den der russische Aktionskünstler Pjotr Pawlenski führt: Er ist angetreten, um es mit Russlands mächtigem Präsidenten Vladimir Putin aufzunehmen. Der Künstler hat es sich zum Ziel gemacht, den autoritären Staat mit allen Mitteln zu bekämpfen – und gerade deswegen, weil dieser Kampf so aussichtslos, die Machtverhältnisse so klar und eindeutig sind, greift Pawlenski zu radikalen Mitteln. Die Dokumentarfilmerin Irene Langmann, die sich häufig in ihren Werken mit Innenansichten in das russische Leben und die Gemütslage in dem Land beschäftigt, legt mit Pawlenski — Der Mensch und die Macht ihren radikalsten und politischsten Film vor – ein Werk, das allein schon aufgrund der bewundernswert radikalen Konsequenz des Künstlers ebenso schmerzt wie fasziniert.
Pawlenski wurde spätestens im Jahre 2012 einer breiteren Öffentlichkeit auch im Westen bekannt, als er sich in einer Aktion aus Protest gegen die Inhaftierung und Anklage der Punk-Performance-Künstlerinnen von Pussy Riot den Mund zunähte und sich so im Zentrum von St. Petersburg den Passanten präsentierte. Ein wirkungsvoller und schockierender Protest gegen die Versuche der Staatsmacht, missliebige Stimmen mundtot zu machen. Später folgte eine weitere Aktion, als er sich nackt und in Stacheldraht gewickelt vor ein Regierungsgebäude legte. Ein Jahr später erregte Pawlenski erneut Aufsehen, als er aus Protest gegen die Lethargie der russischen Gesellschaft und die Korruption der staatlichen Behörden seinen Hodensack am Roten Platz in Moskau festnagelte — eine Aktion, die schließlich zu einer Anklage wegen Vandalismus führte.

Im Jahr 2014 zündete der Aktionskünstler eine weitere Eskalationsstufe, als er sich nackt auf dem Dach des Moskauer Serbski-Instituts für Sozial- und Gerichtspsychiatrie mit einem martialischen Küchenmesser ein Ohrläppchen abschnitt, um so gegen die politische Instrumentalisierung von Psychiatrien in Russland zu protestieren. Das Ganze hatte aber auch einen persönlichen Hintergrund: Seit Pawlenskis Unterstützung für den Kiewer Euromaidan versuchten die Behörden, ihn für unzurechnungsfähig zu erklären und ihn in einer psychiatrischen Einrichtung wegzusperren – ein Vorhaben, das vorerst nicht gelang. „Der Machtapparat besteht darauf, dass ich entweder ein Verrückter oder ein Verbrecher bin. Ich kämpfe dafür, dass ich ein Künstler bin“, äußert sich Pawlenski an einer Stelle des Filmes. Und spätestens mit seiner nächsten Aktion provozierte der Künstler den russischen Staat so sehr, dass sich seine Mutmaßungen bezüglich der Intentionen der Staatsmacht bewahrheiten sollten.

Im November 2015 setzte Pawlenski die Tür des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB in Brand und machte damit darauf aufmerksam, wer seiner Meinung nach innerhalb der Russischen Föderation wirklich das Sagen hat und von wem der staatliche Terror ausgeht – eine ultimative Provokation, die dafür sorgte, dass Beamte des angegriffenen Geheimdienstes den Künstler verhafteten und vom Gefängnis in eine Psychiatrie überstellten. Womit sich dann gleich beide Prognosen zugleich erfüllten und er sowohl als Verbrecher als auch als Verrückter behandelt wurde. Zwar war seine Inhaftierung nicht von langer Dauer, doch spätestens jetzt war klar, dass der russische Staat auf Dauer keine Ruhe geben würde, bis der Künstler nicht endgültig mundtot gemacht worden wäre. Nachdem es dann im Dezember Vorwürfe gegen Pawlenski und seine Frau Olga Schalygina wegen angeblicher sexueller Übergriffe gegeben hatte, flohen die beiden zunächst in die Ukraine und dann weiter nach Paris, wo sie im Januar politisches Asyl beantragten.

Bis auf die aktuellste Entwicklung, die der Film ausspart, schildert Irene Langmann den künstlerischen Werdegang und die Stufen der Eskalation zwischen Pjotr Pawlenski und dem russischen Staatsapparat nüchtern dokumentierend. Sie führt Interviews mit Weggefährten und anderen Menschen, die auf die eine oder andere Weise mit Pawlenski beschäftigt sind und fügt dort, wo keine Bilder und Dokumente erhalten sind, nachgestellte Szenen ein, die wie ein Schattentheater gefilmt sind. Sie stellt sich damit ganz in den Dienst der Sache, die hier nicht weniger als die Freiheit der Kunst und der Meinungsäußerung umfasst, und lässt die eindrucksvolle Persönlichkeit Pawlenskis, sein abgezehrtes Gesicht mit den eingefallenen Wangen umso stärker in den Vordergrund treten. Der Film gibt den Dissidenten und all den Widerständigen in Russland ein Gesicht, das man so schnell nicht vergisst – und sei es nur deswegen, weil man die Schmerzen fast körperlich selbst zu spüren scheint, die Pawlenski sich selbst bei seinen radikalen Aktionen zufügt.

Kein angenehmer Film, aber mit Sicherheit ein enorm wichtiger.

Pawlenski - Der Mensch und die Macht

Es ist ein ungleicher Kampf, den der russische Aktionskünstler Pjotr Pawlenski führt: Er ist angetreten, um es mit Russlands mächtigem Präsidenten Vladimir Putin aufzunehmen. Der Künstler hat es sich zum Ziel gemacht, den autoritären Staat mit allen Mitteln zu bekämpfen – und gerade deswegen, weil dieser Kampf so aussichtslos, die Machtverhältnisse so klar und eindeutig sind, greift Pawlenski zu radikalen Mitteln.
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