Out in Ost-Berlin - Lesben und Schwule in der DDR

Eine Filmkritik von Lida Bach

Coming Out im Osten

Out in Ost-Berlin? Müsste es nicht „Out of Ost-Berlin“ heißen? Nein, denn den Protagonisten, die Jochen Hick und Andreas Strohfeldt vor die Kamera holen, ging es weniger um ein Entkommen aus der sozialistischen Diktatur als aus der sozialethischen, die darin vorherrschte. „Raus“ waren sie gewissermaßen schon: raus aus dem, was in der titelgebenden Zone als Gemeinschaftsnorm galt. Die nachzüglerische Reportage über „Lesben und Schwule in der DDR“ gewährt anhand von selektiven Gesprächen einen Blick auf homosexuelle Lebensbilder in Ost-Berlin und den gegenwärtigen Umgang mit Gesetzes- und Gesellschaftsgeschichte.
Exemplarisch für den Widerspruch zwischen einer unreflektierten Übernahme ideologischer Ressentiments und dem eigenen Moralanspruch scheint Jürgen Litfins Haltung. Fast tagtäglich spricht der Bruder des ersten Mauertoten Günther Litfin an dessen Gedenkstätte: davon, wie er nicht glauben konnte, als er bei Nachbarn im Fernsehen sah, dass sein Bruder auf der Flucht getötet worden war. Und davon, wie er es nicht glauben wollte, als er später in der Zeitung las, Günther sei homosexuell gewesen und einer, „der was mit Kindern“ gehabt hätte. Der eine Vorwurf scheint so schwer zu wiegen wie der andere, mehr noch: beide Behauptungen verschmelzen zu einer Anklage. Eine Unterscheidung zwischen sexueller Straftat und Zugehörigkeit zu einer sexuellen Minderheit scheint in Litfins Kopf nie stattgefunden zu haben, wie sie wohl auch im DDR-System nie eindeutig zum Ausdruck kam. Wer von einem Aspekt des diktierten Schemas abwich, sei es politisch, sexuell oder sittlich, war potentiell in allem ein Abweichler und somit Störfaktor in Gesellschaft und Staat. Im krassen Kontrast zu diesem rigorosen Sozialschema, das sich hier abzeichnet, steht die heimelige Unauffälligkeit von Peter Bausdorf. „Verzaubert“ nannte sich der 71-Jährige, der gemeinsam mit seinem Lebensgefährten bei Kaffee und Sahnetorte mit Hick Anekdoten über schwules DDR-Dasein teilt.

Sie haben einfach „normal leben“ wollen, sagt Bausdorf. Und das konnten sie unbehelligt – dieser Eindruck entsteht jedenfalls, wobei nicht nur die unterschwellige Auslegung von „normal leben“ als politisch passive monogame Kleinbürgerlichkeit nachdenklich stimmt. Auf der Kaffeetafel steht das gute Porzellan, auf der Anrichte eine Louis-Quinze-Uhr und später beim Strandausflug steht da eine piefige Sichtblende. So eine hat anscheinend auch das Regie-Team um sein Thema gezogen. Wer kein Protestschild hochhalten musste wie Gay-Rights-Aktivist Peter Tatchell, konnte sich angeblich entfalten, etwa auf einem der „kleinen Feste“, die ein „verträumt-vertrautes schwules Refugium“ boten. Wie viel Spielraum dort bestand und welche Regeln es zu beachten galt, bleibt unerörtert. Ein paar vereinzelte Fotos von eher zaghaft wirkenden Travestie-Parties signalisieren, dass Rosa und Rot einander doch nicht beißen. Wenn doch, gab es im Presseheft erwähnte Arbeitsgruppen, „die aufbrechen, unter dem Schutz der Kirchen, emanzipatorische und offen gelebte schwule Lebensformen als Alternative zur Kleinfamilie zu entwickeln“. Die Kirche als Unterstützer von Alternativen zur traditionellen Kleinfamilie, noch dazu offen schwuler? Das Fragezeichen, das hier aufkommt, stellt sich Hick offenbar nicht. Er setzt schlicht einen Punkt. „1968 wird in der DDR der § 175 abgeschafft.“ Punkt.

Kein Wort davon, dass der Paragraph nur außer Kraft trat, da die DDR sich ein eigenes Gesetzbuch gab, worin § 151 homosexuelle Handlungen ahndete, oder dass § 175 in der BRD gültig blieb. Den diskriminierenden Absatz aus dem Gesetzestext zu streichen fiel schwer, die Erinnerung an seine negativen Auswirkungen zu streichen dafür wohl umso leichter. Was geschah mit Homosexuellen, die von der Sitte aufgegriffen wurden? Wo die DDR-Realität entzaubert war, durch das Einrücken sowjetischer Panzer in die Tschechoslowakei oder Beschimpfungen im Nazi-Jargon, an die Marinka Körzendörfer, die ihr Coming Out erst mit 30 hatte, sich erinnert, hakt die unzulängliche Doku nicht nach. Womöglich, weil sie fürchtet, dass die Antworten wenigen gefielen.

Out in Ost-Berlin - Lesben und Schwule in der DDR

„Out in Ost-Berlin“? Müsste es nicht „Out of Ost-Berlin“ heißen? Nein, denn den Protagonisten, die Jochen Hick und Andreas Strohfeldt vor die Kamera holen, ging es weniger um ein Entkommen aus der sozialistischen Diktatur als aus der sozialethischen, die darin vorherrschte. „Raus“ waren sie gewissermaßen schon: raus aus dem, was in der titelgebenden Zone als Gemeinschaftsnorm galt.
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Meinungen

Kala · 23.11.2013

Ich hab mal irgendwo gelsenen, dass ca. 50% der Homosexuellen Frauen sein sollen. Wie nett, dass hier allerdings nur von Männern geredet wird...