Only God Forgives

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Im nachtschattenschwarzen Reich des Unbehagens

Rot und schwarz, gelegentliches Neonblau und Einschübe von purem Gold — fast ausschließlich in dieser reduzierten Farbpalette operiert der dänische Ausnahmeregisseur Nicolas Winding Refn über die gesamte Laufzeit seines neuen, mit Spannung erwarteten Films Only God Forgives und entrückt damit seine Geschichte der normalen Welt. Der Nachfolger des in Cannes mit dem Regiepreis ausgezeichneten Vorgängers Drive zählte in diesem Jahr zu den Werken im Wettbewerb des wichtigsten Filmfestivals der Welt, mit dem sich besondere Hoffnungen verknüpften. Die Reaktionen nach der Premiere waren aber gemischt, sie schwankten von offener Ablehnung („Bore-Gore“ war nur eines der Prädikate) über Verblüffung und Sprachlosigkeit bis hin zu Prädikaten wie „Meisterwerk“ und ungläubigem Staunen. Eines aber hat Refn mit seinem neuen Film sicherlich nicht gemacht – er hat nicht den sicheren Weg eingeschlagen, sondern hat seine Vision von Filmkunst bis an den Rand und darüber hinausgetrieben.
Wie ein fiebriger tropischer Albtraum nehmen sich die ersten zwanzig Minuten aus, die lediglich Bruchstücke einer Geschichte präsentieren, erst danach wird es zum ersten Mal Tag. Doch selbst die Sonne kann es nicht verhindern, dass Only God Forgives vor allem als rabenschwarzer Film in Erinnerung bleibt, als Abbild einer düsteren und verrohten Welt, in der rohe Triebhaftigkeit, emotionale Abhängigkeiten und Verstörungen sowie archaische Gewalt regiert.

Die Geschichte, um die es geht, ist schnell erzählt: Julian (Ryan Gosling) lebt in Thailand und betreibt dort einen Thai-Box-Club, der allerdings vor allem dazu dient, seine Drogengeschäfte zu kaschieren. Als sein Bruder nach der Vergewaltigung und dem grausamen Mord an einer minderjährigen Prostituierten selbst vom Vater des Opfers ermordet wird, reist Crystal (Kristin Scott Thomas) nach Thailand und fordert ihren jüngeren ungeliebten Sohn Julian dazu auf, Rache zu üben für den Tod des großen Bruders. Auf seiner erzwungenen Suche nach Gerechtigkeit stößt Julian auf einen mächtigen Gegner, den kompromisslosen Polizisten Chang (Vithaya Pansringarm), der seine ganz eigenen Vorstellungen von Gerechtigkeit hat und diese buchstäblich mit dem Schwert durchsetzt.

„Time to meet the devil“ — so lautet der abgrundtiefe One-liner, der wie ein Menetekel aus jeder Pore der Leinwand zu triefen scheint. Wer allerdings dieser Teufel ist, darüber herrscht dann doch Unklarheit. Weil es dafür ehrlich gesagt mehr als nur einen Kandidaten gibt. Vor allem Julians Mutter mit ihrer Eiseskälte (als Julian ihr sagt, dass sein Bruder ja immerhin eine minderjährige Prostituierte vergewaltigt und umgebracht hat, antwortet sie mit einem lapidaren „Er wird seine Gründe gehabt haben“) und ihrer ziemlich offensichtlichen sexuellen Übergriffigkeit gegenüber ihren eigenen Söhnen — Schwanzvergleiche inklusive – böte sich beispielsweise förmlich an als She-Devil.

Fast permanentes, tieffrequentes Brummen, süßliche thailändische Schlager und wabernde Synthesizerklänge auf der Tonspur, dazu eine bis an die Grenze der Erstarrung verlangsamte Kamera, ornamentale Nachtszenen und wie unlesbare Menetekel aufscheinende Zeichen an der Wand erzeugen von der ersten Minute an eine lähmende, bedrohliche Atmosphäre, in die die gelegentlich überaus brutalen Gewaltausbrüche einbrechen wie Faustschläge gegen den Zuschauer, der ständig hin und her geworfen wird zwischen Agonie und reinem Terror.

Only God Forgives ist sediertes, bis ins Extrem stilisiertes Körperkino, das streckenweise aussieht, als hätten David Lynch und Apichatpong Weerasethakul im Drogenrausch nach der Lektüre der Werke Sigmund Freuds gemeinsam einen Thriller gedreht, um frühkindliche Traumata zu bannen. Schaut man unter die Oberfläche, deren ausgedehnte Ästhetizismen selbst eingefleischte Fans auf eine harte Geduldsprobe stellen, bietet der Film eine ganze Fülle von Spuren und interpretatorischen Ansätzen, die sich zu einem Vexierbild tiefer Misogynie und der verzweifelten, existenziellen Suche nach maskuliner Identität verdichten.

„There’s something rotten in the State of Denmark“, heißt es bei William Shakespeares Hamlet. Wer die verzweifelten Geschlechtsk(r)ämpfe eines Lars von Trier (man erinnere sich mit Schauern an die beinharten Auseinandersetzungen zwischen Willem Dafoe und Charlotte Gainsbourg in Antichrist), die Rückzugsgefechte der Männer gegenüber einer von Frauen dominierten Welt in Thomas Vinterbergs Die Jagd und Nicolas Winding Refns Only God Forgives anschaut, der ahnt, dass ausgerechnet dort bei unseren nördlichen Nachbarn Neurosen und maskulinistische Fantasmen aufs Verstörendste und Bildgewaltigste zusammenfließen. Es fällt nicht leicht, unter diese schroffe Oberfläche zu schauen und bestimmt dürfte das, was sich möglicherweise darunter verbirgt, eine tiefe Verunsicherung auslösen, die mancher Zuschauer lieber zur Seite schiebt. Selten wurden Unbehagen, Verunsicherung, Verwirrung, Eros und Thanatos so brachial auf die Leinwand gezimmert wie dies Nicolas Winding Refn mit Only God Forgives getan hat. Und allein schon deswegen verwundern die ambivalenten und heftigen Reaktionen, die dieser Film bei seiner Premiere in Cannes aufgelöst hat, nicht wirklich. Wenn sich das Unbehagen gelegt hat, dann wird, so bleibt zu hoffen, der Weg frei für eine differenziertere Sicht auf diesen Film. Selbst wenn er einem nicht gefallen mag, wofür es sicher eine Menge guter Gründe gibt – er lohnt einer eingehenderen Betrachtung.

Only God Forgives

Rot und schwarz, gelegentliches Neonblau und Einschübe von purem Gold — fast ausschließlich in dieser reduzierten Farbpalette operiert der dänische Ausnahmeregisseur Nicolas Winding Refn über die gesamte Laufzeit seines neuen, mit Spannung erwarteten Films „Only God Forgives“ und entrückt damit seine Geschichte der normalen Welt. Der Nachfolger des in Cannes mit dem Regiepreis ausgezeichneten Vorgängers „Drive“ zählte in diesem Jahr zu den Werken im Wettbewerb des wichtigsten Filmfestivals der Welt, mit dem sich besondere Hoffnungen verknüpften.
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Meinungen

mai thai · 29.07.2013

einer der ersten Filme, bei dem ich das Kino verlassen musste....

Auf dem rosa Sofa · 23.07.2013

Tjaaa…das hat jetzt eine ganze Weile gedauert, bis ich mich hingesetzt habe um diese Rezension zu schreiben. Und das hat nicht nur was mit Zeitmangel zu tun. Ich wusste schlicht nicht wirklich, was ich über den Film sagen sollte und habe noch auf sowas wie eine plötzliche Erleuchtung gewartet. Kam aber nicht wirklich. Auch Gespräche mit anderen die den Film gesehen haben, führten wieder an den Punkt, an den ich auch selber immer komme – ich habe das Gefühl, die eigentliche, tiefer gehende Story verpasst zu haben.
Im Falle, dass ich alles mitbekommen habe, ist es eine pure Rache – Geschichte…Auge um Auge, Zahn um Zahn, Arm um Arm, Kopf um Kopf.
Auf jeden Fall kann man schon mal sagen, dass es ein unheimlich ästhetischer Film ist. Da Spiel mit Licht, mit Farben und Symbolen macht viele Einzeleinstellungen zu einem surrealen Kunstwerk. Die gesamte Inszenierung in ihren Zeitsprüngen und traumartigen Sequenzen, erinnert stark an die großen Filme David Lynchs. Obwohl es durchaus blutig daher geht, ist selbst das Blut und die Gewalt klar inszeniert und stilisiert, so dass auch zartere Gemüter nicht all zu sehr leiden müssen. Obwohl es schon ein bisschen schade ist, dass Ryan Gossling das letzte drittel des Filmes so verbeult rum läuft…schaut man ihn doch eigentlich ganz gerne an. Sowohl Musik als auch Bilder spielen mit krassen Gegensätzen, während Gossling noch weniger sagt als in Drive (und das will was heißen!) Das alles führt aber auch dazu, dass man sich die Figuren nur aus weiter Ferne ansieht und vor lauter Symbolkraft den Inhalt verpasst. Ich habe zu wenig Ahnung von thailändischer Kultur, obwohl ich das Gefühl hatte, dass auch da, jenseits des Karaoke – Singens, noch einiges verborgen lag. Ich würde auch gerne mal eine psychologische Analyse des Mutter – Sohn Verhältnisses lesen. Ich glaube Freud hätte sich kaum wieder eingekriegt, hätte er diesen Film gesehen. Insgesamt hat mich der Film etwas verwirrt zurück gelassen und mit dem undeutlichen Gefühl, zu dumm zu sein, um ihn zu verstehen.
Ansonsten bleibt es für mich ein toll bebildertes Marionetten – Spiel in einer Theater – Landschaft ala Robert Wilson.

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