Nord

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Schneeblindheit und Depressionen – ein bezaubernd schräger Off-Road-Movie aus Norwegen

Gerade jetzt zur Winterzeit haben die Liftwärter in den Skigebieten wieder alle Hände voll zu tun, um schnee- und sonnenhungrige Touristen mittels routinierter Handgriffe in den Lift und damit auf die Gipfel des Urlaubsglücks zu befördern. Wohl dem, der beim Besteigen eines Liftes nicht an einen depressiven und antriebsarmen Unglücksraben wie Jomar in Rune Denstad Langlos stoisch-skurrilem Spielfilmdebüt Nord gerät. Dessen von Depressionen verursachtes Phlegma bringt nämlich selbst den entspanntesten Feriengast zur Weißglut. Was manchen Touristen ärgert, sorgt andererseits im Kino für ziemliches Vergnügen – was vor allem der gelungenen Balance aus lakonischem Witz, typisch skandinavischer Zurückhaltung bei der Inszenierung und nachdenklichen Momenten zu verdanken ist.
Man mag es kaum glauben und doch ist es wahr: Früher war der dicke Jomar (Anders Baasmo Christiansen) einmal ein erfolgreicher Skirennläufer. Doch nach einem Unfall ist sein Leben gründlich aus der Bahn geraten. Zumal auch noch – ein Unglück kommt selten allein — die Liebe seines Lebens mit seinem besten Freund auf Nimmerwiedersehen aus seinem Leben verschwand. Angstzustände und Depressionen lähmen den bärenhaften Hünen, der sich nach nichts mehr sehnt als nach der Ruhe der Psychiatrie, wo er von der Welt in Ruhe gelassen wird. Um sich weiter in seinem Selbstmitleid zu suhlen, trinkt Jomar Unmengen von Alkohol, verschläft die meiste Zeit seines ohnehin nicht sehr lebenswerten Daseins, zieht sich mit TV-Sendungen über Katastrophen noch weiter herunter und qualmt wie ein Schlot. Kurzum: Er ist drauf und dran, sich gründlich zugrunde zu richten.

Dann steht eines Tages ausgerechnet Lasse (Kyrre Hellum), der untreue Freund von einst, der ihm die große Liebe ausspannte, vor dem Lift und sorgt für einen Paukenschlag, der Jomar aus seiner Lethargie reißt. Linnea, so weiß der frühere Freund, lebt mittlerweile irgendwo im Norden und hat einen vierjährigen Sohn – Jomars Sohn. Mit einem Kanister voller hochprozentigem Schnaps zur Überwindung seiner mannigfaltigen Phobien macht sich Jomar mit seinem Schneemobil auf den Weg gen Norden. Die Reise hin zur Liebe seines Lebens führt durch unendlich weite Schneelandschaften und sorgt für Begegnungen mit Menschen, die mindestens ebenso seltsam, schräg und liebenswert sind wie Jomar selbst…

Dass der Filmemacher Rune Denstad Langlo bislang vor allem als Dokumentarfilmregisseur zu einigem Ruhm gelangte, sieht man diesem Film nicht an – zumindest nicht im negativen Sinne. Allenfalls am Rande merkt man seinem Debütspielfilm ein beinahe ethnografisch anmutendes Interesse an all den liebeswerten und irgendwie verdrehten Menschen (zumeist dargestellt von Laienschauspielern) an, die offensichtlich in den kühlen Temperaturen Skandinaviens besser gedeihen als anderswo. Trotz des schwermütigen Charakters von Jomar ist Nord ein hinreißender Film voller grandioser Landschaftsbilder und schrulliger Begegnungen geworden, in dem wir nicht nur einiges über Langlos sehr offensichtliche Verehrung für David Lynchs ganz ähnlich konstruierten Film Straight Story erfahren, sondern auch über die bizarren Trinkgewohnheiten mancher Norweger. Wer die Filme von Bent Hamer (Kitchen Stories, O’Horten) und Aki Kaurismäki mag, der wird auch an Nord seine helle Freude haben. Selten haben die depressiven Leiden eines Protagonisten im Kino so viel Spaß bereitet wie in diesem Film. Nur schade, dass der Film bereits nach 78 Minuten sein Ende nimmt – man hätte sich nicht dran gestört, wenn Langlo für seine charmante Geschichte und seinen sympathischen Antihelden noch mehr unserer Zeit beansprucht hätte. Denn eines ist sicher – wir hätten sie ihm gerne geschenkt.

Nord

Gerade jetzt zur Winterzeit haben die Liftwärter in den Skigebieten wieder alle Hände voll zu tun, um schnee- und sonnenhungrige Touristen mittels routinierter Handgriffe in den Lift und damit auf die Gipfel des Urlaubsglücks zu befördern. Wohl dem, der beim Besteigen eines Liftes nicht an einen depressiven und antriebsarmen Unglücksraben wie Jomar in Rune Denstad Langlos stoisch-skurrilem Spielfilmdebüt „Nord“ gerät.
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Meinungen

Jomar · 06.05.2013

Und Dir, lieber Joachim Kurz möchte ich für diese wirklich gute und feinfühlige Rezension danken.
Als Fan von diesem Film und dieser Art Film liest man natürlich gerne Pros für den Film, aber Du hast, wie ich finde, ein gutes Gespür und Auge für die Details- cool und Danke :-)