Noise and Resistance

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Die Generation DIY

„Voices from the DIY Underground“, so lautet der Untertitel von Julia Ostertags und Francesca Araiza Andrades Dokumentarfilm Noise and Resistance. Das Kürzel „DIY“ steht für „Do it yourself“ und das hat in diesem Fall nichts mit Heimwerkern und Baumärkten zu tun, sondern mit einer Lebenspraxis und -haltung, die sich mit der Punk-Bewegung seit den späten 1970er Jahren als Gegenmodell zu den vorherrschenden Gesellschafts- und Wirtschaftsformen etabliert hat. Noise and Resistance ist eine Reise durch die Subkultur und zeigt, dass DIY bei Lichte betrachtet durchaus auch jenseits des Mainstream funktionieren könnte.
Mit Crass fing alles an. Und so ist es kein Wunder, dass die britische Politpunk-Band, die sich 1984 wieder auflöste, zu Beginn des Films eine zentrale Rolle spielt. Vom Beginn an verweigerte sich Crass den ökonomischen Mechanismen der Musikindustrie und behielt dank eines hohen Maßes an Eigeninitiative stets die maximale Kontrolle über das eigene Werk. Obwohl die Band kaum Konzerte außerhalb der britischen Insel gab, ist Crass heute längst eine Legende und wurde zu einem der wichtigsten Impulsgeber der DIY-Bewegung. Die beiden früheren Crass-Aktive Gee Vaucher und Penny Rimbaud, beide schon sichtlich ergraut und in die Jahre bgekommen, aber immer noch erfüllt vom Kampfesgeist früherer Jahre bilden in dem Film sozusagen die Keimzelle der Bewegung, denen mit Jon Active von Active Distribution und der niederländischen Hardcoreband Seein Red eine zweite Generation der DIY-Bewegung folgte. Von dieser Traditionslinie ausgehend, verfolgt der Film die Spuren von DIY in Barcelona, in Skandinavien, Großbritannien, Deutschland und Russland, spricht mit Musikern und Aktivisten auf Festivals, im Berliner Kultur- und Wohnprojekt Schwarzer Kanal am Südufer der Spree. Im raschen Wechsel springt der Film dabei von Land zu Land, von Interviewpartner zu Interviewpartner. Dennoch verliert man nie den Überblick, weil sich die Aussagen gegenseitig ergänzen und kommentieren.

Dabei ist DIY keineswegs nur mit Punk und daraus abgeleiteten Subkulturen verknüpft, auch im HipHop-Bereich und in anderen Musikstilen gibt es Aktivisten, die die Ideale der Selbstbestimmung, des antikommerziellen Handelns und des Nonkonformismus Tag für Tag leben, wie das Beispiel der Rapperin Sookee / Quing aus Berlin beweist. Dennoch: Mit dem Aufkommen des Punks und seiner Botschaft, die sich gegen das Etablierte, gegen das bis zum Exzess getriebene bombastisch-exaltierte Experten- und Virtuosentum in der Rockmusik der 1970er wandte, hat die DIY-Bewegung ihren festen Ort innerhalb des subkulturellen Lebens erhalten. Und wie die Beispiele aus Russland zeigen, ist dies ein Rückzugsort, der nach wie vor eine bedrohte Utopie darstellt. Hier stehen Aktivisten der DIY-Szene unter staatlicher Beobachtung und müssen sich zudem gegen die erstarkende russische Neonazi-Szene wehren.

Die beiden Filmemacherinnen Julia Ostertag und Francessca Araiza Andrade sind selbst Bestandteil der Szene. Dementsprechend nah sind sie ihren Protagonisten gekommen. Andrade kommt ist seit vielen Jahren Mitglied des Filmkollektivs AK KRAAK, das seine Wurzeln in der Berliner Hausbesetzerszene hat und hat bereits zahlreiche kapitalismus- und globalisierungskritische Filme jenseits der gängigen Ästhetik gedreht. Julia Ostertags Fokus lag bisher auf Filmen, die sich mit dem Thema der sexuellen Identität und mit alternativen Lebensweisen auseinandersetzten. Man merkt ihrem gemeinsamen Film die Nähe zum Sujet und ihre Sympathie für ihre zahlreichen Protagonisten an, kritische Rückfragen auf die Statements und ein Nachhaken sind kaum zu finden. Dennoch ist Noise and Resistance eine eindrucksvolle Bestandsaufnahme der DIY-Bewegung von innen heraus, die nicht nur für Sympathisanten der Subkultur interessante und anregende Einblicke bereithält.

Mit den Klischees der „Haste mal nen Euro“-Punker haben die Protagonisten von Noise and Resistance aber auch gar nichts zu tun – im Gegenteil. Ihr Engagement gegen Rassismus, aber auch gegen die zunehmende Kommerzialisierung aller Lebensbereiche, ihr Einsatz für ein freies und selbstbestimmtes Leben imponiert derart, dass man geneigt ist, die DIY-Bewegung als eine der wichtigsten Gegenströmungen zum gesellschaftlichen Mainstream zu begreifen.

Dass die DIY-Szene überlebensfähig ist, hat sie längst bewiesen. Und dass in Zeiten einer zunehmenden Ökonomisierung aller Lebensbereiche bei gleichzeitigem Rückzug des Staates aus wesentlichen Aufgaben dringend Gegenstrategien erforderlich sind, liegt ebenfalls auf der Hand. DIY könnte also nicht nur ein Nischenphänomen bleiben, sondern durchaus auch in vielerlei Hinsicht zum Vorbild taugen. Noise and Resistance jedenfalls macht Mut zu mehr Eigeninitiative und dazu, den Weg aus alten Abhängigkeiten zu wagen.

Noise and Resistance

„Voices from the DIY Underground“, so lautet der Untertitel von Julia Ostertags und Francesca Araiza Andrades Dokumentarfilm „Noise and Resistance“. Das Kürzel „DIY“ steht für „Do it yourself“ und das hat in diesem Fall nichts mit Heimwerkern und Baumärkten zu tun, sondern mit einer Lebenspraxis und -haltung, die sich mit der Punk-Bewegung seit den späten 1970er Jahren als Gegenmodell zu den vorherrschenden Gesellschafts- und Wirtschaftsformen etabliert hat.
  • Trailer
  • Bilder

Meinungen

Herr BoOm. · 17.07.2011

Sehr guter Film! Anschauen und supporten!