NoBody's Perfect

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Leben mit den Folgen von Contergan

Es ist der wohl berühmteste Schlusssatz der Filmgeschichte: „Nobody’s perfect“ lautet die lakonische Antwort des Millionärs Osgood Fielding III. (Joe E. Brown) in Billy Wilders Komödie Manche mögen’s heiß / Some like it hot (USA, 1959) auf die überraschende Enthüllung seiner Daphne, dass sie in Wirklichkeit ein Kerl namens Jerry (Jack Lemmon) ist. Das Schöne daran: Die Doppeldeutigkeit des Wörtchens „nobody“ und Fieldings maliziöser Blicken deuten an, dass der Millionär es auch versteht, mit anderen, nicht weiblichen „Körpern“ („no body“) Spaß zu haben.
In Niko von Glasows ungewöhnlichem Dokumentarfilm NoBody’s Perfect bleibt die Doppeldeutigkeit des Wilderschen Schlusssatzes zwischen „niemand“ und „kein Körper“ erhalten – schließlich geht es vor allem um körperliche Versehrtheit und wie man damit umzugehen lernt. Die Grundidee des Films erinnert in groben Zügen an Nigel Coles Kalender Girls / Calendar Girls (Großbritannien, 2003), in dem zwölf ältere Damen beschließen, dem gängigen Jugend- und Schönheitsideal zu trotzen und sich für einen guten Zweck nackt vor der Kamera zu präsentieren. Wie man am Ende des Films erfährt, basiert die Geschichte auf realen Vorkommnissen. Auch bei Niko von Glasow geht es um die Produktion eines ganz besonderen Bildbandes, doch seine Fotomodelle haben andere Probleme als die Damen aus dem beschaulichen Yorkshire: Sie kämpfen nicht nur gegen die Schwerkraft und gegen die immer deutlicher zu Tage tretenden Runzeln und Falten, sondern gegen andere Deformationen des Körpers. Denn von Glasow und seine elf Mitstreiter (darunter ein BBC-Reporter, ein Schauspieler, eine Dressurreiterin, ein Astrophysiker und andere in jeder Hinsicht außergewöhnliche Persönlichkeiten) sind allesamt contergan-geschädigt und weisen schwere Missbildungen der Extremitäten auf.

Zur Erinnerung: Das Beruhigungs- und Schlafmittel Contergan für Schwangere, das zwischen den Jahren 1957 und 1961 von dem Unternehmen Chemie Grünenthal hergestellt und vertrieben wurde, verursachte einen der schwersten Arzneimittelskandale der Geschichte. Zwar gehen die Zahlen über die Opfer auseinander, doch der Bund Contergangeschädigter und Grünenthalopfer e.V. (BCG) schätzt, dass in Deutschland rund 4.000 Kinder an den Folgen des Wirkstoffs Thalidomid verstarben. Weltweit sind circa 10.000 Menschen durch die Einnahme von Contergan zum Teil schwer missgebildet worden, in Deutschland sollen es 7.000 sein.

Niko von Glasow hat mit seinem Film einen sehr ungewöhnlichen Zugang zu dem Thema gefunden. Statt wie der Fernsehfilm Eine einzige Tablette (beide Filme wurden übrigens vom WDR koproduziert) die Geschichte des Skandals zu erzählen, berichtet er aus dem Hier und Jetzt der Contergangeschädigten und zeigt auch an sich selbst, wie viel Mut und Aufrichtigkeit es erfordert, sich der eigenen Behinderung zu stellen. Eine Aufrichtigkeit, zu der sich das Unternehmen Grünenthal bis heute nicht durchringen konnte. So gab es bis zum heutigen Tage keine Entschuldigung des Unternehmens gegenüber den Opfern von Contergan. Und für die Entschädigungen der Opfer kommt nach dem Auslaufen einer von Grünenthal gegründeten Stiftung heute nicht mehr das Unternehmen auf, sondern der deutsche Staat.

Die Blockadehaltung des Chemiegiganten ist auch im Film deutlich zu spüren: Trotz von Glasows zähen Versuchen, mit Firmenvertretern ins Gespräch zu kommen, wird er abgeblockt, vertröstet und ignoriert, bis er in Michael Moore-Manier mit einer der Aktaufnahmen in die Firmenzentrale spaziert und das Bild als Andenken zurücklässt. „Vielleicht hängen sie es ja im Foyer auf“, so der sarkastische Kommentar des Regisseurs, der aber anders als sein amerikanischer Kollege stets Charme, Feinfühligkeit und Humor miteinander zu vereinen weiß.

Dabei schert sich Niko von Glasow in seinem Film erfrischend wenig um die Befindlichkeiten seiner Umwelt und um „political correctness“. Da witzeln der Regisseur und der Gärtner Theo angesichts eines gewaltigen Mammutbaumes über die eigene Armlänge („meine sind ja eher so mittellang“), während der Schauspieler Mat Fraser sich äußerst zufrieden damit zeigt, dass wenigstens seine Beine und sein Penis „normal“ ausgestattet sind. Herrlich ist auch die Szene, als der Regisseur und der Schauspieler sich im Taxi darüber unterhalten, ob die Einnahmen aus dem Buch einem wohltätigen Zweck zugute kommen sollen, was Mat entschieden verneint – man kann es ihm nicht verdenken.

Zugleich aber gibt es immer wieder sehr intensive Momente voller Nachdenklichkeit, wie etwa die kleine Ansprache von Doris am Ende des Films, in der sie bekennt, wie sehr sie die Erfahrung des Posierens vor der Kamera verändert und wie viel Selbstbewusstsein ihr das gegeben hat. Es ist gerade die Balance zwischen Szenen wie diesen und dem immer wieder aufblitzenden Humor, zwischen Angst, Resignation und kämpferischem Mut, die die außerordentliche Qualität dieses Films ausmacht. Und wenn der Regisseur am Ende gezeigt wird, wie er es wagt, sich am Strand seines Oberteils zu entledigen und seine deformierten Schultern und Arme den Blicken der Öffentlichkeit auszusetzen, dann spürt man, dass es manchmal Wunder bewirken kann, wenn man zum Hinsehen gezwungen wird.

Niko von Glasows Buch mit den Aktaufnahmen hat bereits vor seinem Erscheinen für Furore gesorgt und ist nominiert für den „Photographic Portrait Prize 2007 der National Portrait Gallery London“. Hoffen wir, dass dem Film ein vergleichbarer Erfolg beschieden ist – verdient hätte er es allemal.

NoBody's Perfect

Es ist der wohl berühmteste Schlusssatz der Filmgeschichte: „Nobody’s perfect“ lautet die lakonische Antwort des Millionärs Osgood Fielding III. (Joe E. Brown) in Billy Wilders Komödie Manche mögen’s heiß / Some like it hot (USA, 1959) auf die überraschende Enthüllung seiner Daphne, dass sie in Wirklichkeit ein Kerl namens Jerry (Jack Lemmon) ist.
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Meinungen

Konny V. · 04.09.2008

Es wurde Zeit, dass dieser Film gedreht wurde.
Wie lange noch wird die Firma Grünenthal die Conterganopfer ignorieren?
Empfehle der Familie Wirtz diesen Film in die Familien-Kinothek aufzunehmen. Hier ist "hinschauen" erwünscht!