Neruda

Eine Filmkritik von Maria Wiesner

Dichter, Senator, Verfolgter

Irgendetwas ist komisch an diesem Film und es hat mit dem Licht zu tun. Permanent blendet es so direkt in die Kamera, dass man fast schon blinzeln möchte. Das geht in der ersten Szene los: Ein Raum im chilenischen Senat mit barockem Schmuck und weinroten Wänden, die Senatoren rauchen und diskutieren über Nerudas letztes Gedicht und ob dessen kommunistische Gesinnung tragbar ist. Auftritt des Dichters und Senators Pablo Neruda. Er platzt durch die schwere Doppeltür, geht zur rechten Wand, an der Pissoirs angebracht sind, erleichtert sich und hält währenddessen einen Abgesang auf den chilenischen Präsidenten Gonzalez Videla.
Noch bevor man sich überhaupt auf die inhaltliche Ebene dieses Films konzentrieren kann, fragt man sich amüsiert, ob die Senatorentoiletten 1948 in Chile tatsächlich die Größe eines Pariser Salons hatten oder ob das jetzt surrealistisch zu sehen ist. Und warum blendet das Licht durch die Rauchschwaden die ganze Zeit so diffus in die Kamera? Aus Versehen passiert so etwas hier nicht, denn der Film Neruda wurde von Pablo Larraín gedreht. Und der Chilene ist kein Regisseur, der seine Zuschauer hinters Licht führt. Vielmehr fordert er sie auf, sehr gut hinzusehen, auf die Details zu achten und diese zusammenzupuzzlen. Das hatte schon in Post Mortem für kurze Glücksmomente gesorgt, wenn im letzten Drittel des Films plötzlich alles, was zu Beginn noch verrätselt war, plötzlich Sinn ergab.

Konzentrieren sich Larraíns Filme Tony Manero, Post Mortem und ¡No! auf die Gewalt zur Zeit des Pinochet-Regimes, geht er mit Neruda noch ein wenig weiter in der Geschichte Chiles zurück. Dass dieser Film aber keine Standardbiographie des Literatur-Nobelpreisträgers ist, wie der simple Titel vielleicht vermuten ließe, macht er schon sehr zeitig mit dem Licht deutlich. Der Film erzählt zwar, wie der Dichter mit dem Beginn des Kalten Kriegs in seinem Heimatland auf die schwarze Liste der Regierung kommt und in den Untergrund gehen muss. Larraín macht daraus aber einen Kriminalfilm mit Noir-Anleihen. Und weil ein guter Krimi immer auch einen Detektiv mit Filzhut und dünnem Oberlippenbart braucht, kommt hier Oscar Peluchonneau (herrlich gespielt vom Mexikaner Gael García Bernal) zum Einsatz. Obwohl er sich im Off-Kommentar permanent selbstüberschätzt, bekommt er den Dichter nie zu fassen. Ja, er erkennt Neruda (Luis Gnecco) noch nicht einmal, wenn dieser direkt vor ihm steht. Denn auch wenn dem Dichter Gefängnis oder Schlimmeres drohen, hat er eigentlich überhaupt keine Lust auf den Untergrund und versucht, seinen Verfolgern immer so nahe wie möglich zu bleiben. Das liegt auch daran, dass es in der Großstadt so viel einfacher ist, sich mal schnell einen Abend lang im Bordell zu amüsieren – nur weil er ein Kommunist auf der Flucht ist, heißt das ja noch lange nicht, dass er auch auf den Spaß am Leben verzichten muss. Den erlaubt er sich auch mit seinen Verfolgern, denen er überall – ob im geräumten Atelier, dem Zwischenappartement oder dem Fluchtwagen – billige Detektivromane hinterlässt. Und so langsam wie sich Peluchonneau an Neruda herantastet, tastet man sich auch als Zuschauer durch die verschiedenen Ebenen dieser Geschichte.

Dieses Katz-und-Maus-Spiel zwischen Dichter und Detektiv unterbricht Larraín immer wieder mit kurzen Realismus-Einschüben. Wenn Arbeiter verhaftet und mutmaßliche Kommunisten in Lager in der Wüste abtransportiert werden, wo schon Pinochet auf sie wartet, sind die Bilder plötzlich klar und scharf. Kein diffuses Gegenlicht, nur harte Realität. Ebenso tauchen immer wieder Figuren auf, die im Gegensatz zu dem fast schon literarisch-überspitzt anmutenden Held und seinem Gegenspieler ernst und echt wirken. Besonders im Gedächtnis bleibt die Szene vom Verhör eines Travestie-Sängers durch Detektiv Peluchonneau. Mit festem Blick erzählt der Sänger, wie er Neruda in einem Nachtclub getroffen hat, wie dieser ihm zuhörte, ihn ernst nahm und mit ihm sprach: „Von Mann zu Mann, Künstler zu Künstler. Das ist etwas, das sie nie verstehen können.“ Diese Sehnsucht, ernst genommen zu werden, seinen Leidenschaften nachgehen zu können, frei von gesellschaftlichen Zwängen zu leben, fängt, ja, fordert Nerudas Poetik ein. Larraín hat es geschafft, diese Macht der Sprache in Bilder und eine filmische Erzählung zu fassen.

Er wollte keinen Film über Neruda machen, erzählte Larraín nach der Premiere seines Films bei den Filmfestspielen in Cannes. Er habe einen Film „à la Neruda“ machen wollen. Wenn die Detektivgeschichte in einem fantastischen Showdown in den unendlichen weißen Gipfeln der Anden zu Ende geht und dabei noch eine fast schon postmoderne erzählerische Wendung nimmt, die all die diffusen Gegenlicht-Kameraeinstellungen plötzlich erklärt, weiß man, dass ihm das mit Bravour gelungen ist.

Neruda

Irgendetwas ist komisch an diesem Film und es hat mit dem Licht zu tun. Permanent blendet es so direkt in die Kamera, dass man fast schon blinzeln möchte. Das geht in der ersten Szene los: Ein Raum im chilenischen Senat mit barockem Schmuck und weinroten Wänden, die Senatoren rauchen und diskutieren über Nerudas letztes Gedicht und ob dessen kommunistische Gesinnung tragbar ist. Auftritt des Dichters und Senators Pablo Neruda.
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