Nader und Simin - Eine Trennung (2011)

Eine Filmkritik von Lida Bach

Ein entlarvender Blick auf die iranische Gesellschaft

Simin ist schuld. Hätte die junge Iranerin (Leila Hatami) nicht die Trennung von ihrem Ehemann Nader (Peyman Moadi) gefordert, hätte er für seinen an Alzheimer erkrankten Vater (Ali-Asghar Shahbazi) keine Pflegerin einstellen müssen. Dann wäre es nicht zum Streit zwischen Razieh (Sareh Bayat) und Nader gekommen und die Mutter der kleinen Somayeh (Kimia Hosseini) und ihr Mann Hodyat (Shahab Hosseini) hätten nicht Anzeige erstattet. Die Anklage lautet auf Mord an dem Baby, das Razieh verloren hat. „Es ist deine Schuld.“, sagt die elfjährige Termeh (Sarina Farhadi), die Tochter von Nader and Simin.

Nader ist schuld. Würde er ausreisen mit Simin, die in wochenlanger Prozedur die Visa beantragt hat, die nun in 40 Tagen ablaufen, wäre „eine Trennung“ nicht nötig. Aber er musste unbedingt bei seinem senilen Vater bleiben und handgreiflich werden gegen Razieh, die er beschuldigt, Geld gestohlen zu haben. Obwohl er mitbekommen haben muss, dass sie schwanger ist. Selbst als Simin vor Gericht die Kaution für Nader stellt und einwilligt, Razieh und Hoydat eine Entschädigung zu zahlen, verweigert er das erforderliche Schuldeingeständnis. „Sie wollte hierher zurückkehren“, erzählt er von Simin.

Hoydat ist schuld. Seit Wochen arbeitet er nicht, so dass Razieh trotz ihrer Schwangerschaft gezwungen ist, Geld zu verdienen. Er ist depressiv und hat sich kaum noch unter Kontrolle. Seiner überforderten Frau gegenüber ist der religiöse Fundamentalist so ausfallend, dass sie um sich und ihre Tochter Somayeh fürchtet. Von ihren streitenden Eltern hat die Kleine ein Bild gemalt. Darüber sprechen will sie nicht. Womöglich hat der aggressive Hoydat mit der Fehlgeburt zu tun und will sich für das Verbrechen Blutgeld zahlen lassen, um seine Geldsorgen zu lösen.

Razieh ist schuld. Kein Wort sagt sie Nader von ihrer Schwangerschaft, die sie unter dem Tschador versteckt. Warum arbeitet sie überhaupt ohne die Erlaubnis ihres Mannes? Schon mit der Sorge für Somayeh ist sie überfordert. Naders Vater fesselt sie ans Bett und verriegelt die Tür, um während ihrer Arbeitszeit zum Arzt zu gehen. Welchen Eingriff ließ sie durchführen? Nun soll Nader dafür bezahlen, obwohl Zeugenaussagen vor der Polizei bestätigen, dass sie dessen Angriff erfunden hat.

Alle haben Schuld auf sich geladen in Asghar Farhadis einfühlsamen Drama über Nader und Simin — Eine Trennung (Jodaeiye Nader az Simin). Sogar Termeh, die früher als alle anderen die Wahrheit fühlt, die der iranische Regisseur bruchstückhaft enthüllt, verschwört sich am Ende. Das verschlossene Mädchen ist der reifste Charakter und stille Beobachterin der qualvollen Wendungen, die sich vor ihren Augen abspielen. Nader und Simin — Eine Trennung, dem in seinem Produktionsland das Verbot drohte, ist auch die Geschichte von Termehs seelischem Zerbrechen. Sozialdrama, Kriminalfall und menschliche Tragödie verknüpft Farhadi zu einem unter die Haut gehenden Porträt der iranischen Gesellschaft. Soziale und persönliche Zwänge verknüpfen sich zu Fallstricken, denen die Protagonisten unmöglich ausweichen können. Jeder der komplexen Charaktere ist gefangen im eigenen Käfig religiöser, emotionaler oder materieller Abhängigkeiten.

Sie hätten keine triftigen Gründe für eine Scheidung, sagt ein Richter Nader und Simin in der ersten Szene. Vierzehn Jahre sind beide verheiratet. Auseinander bringt sie nicht Streit, sondern unterschiedliche Vorstellungen von der Zukunft. Simin will ihre Tochter nicht im Iran aufwachsen lassen, Nader seinen kranken Vater nicht zurücklassen. Ihre Lebenswege symbolisieren die einander entgegengesetzten Strömungen der iranischen Gesellschaft. Simin vertritt die Moderne, eine junge Generation und die kulturelle Öffnung. Nader steht für den Wert der Tradition und ein Bewahren der kulturellen Wurzeln, das bedachtsam statt fundamentalistisch ist. Beide Weg zeigt Farhadis stilles Meisterwerk gleich verständnisvoll und erstrebenswert. Die Entscheidung, welcher der Richtige ist, kann Nader und Simin — Eine Trennung nicht fällen. Nur dass sie nicht vereint werden können, ist bittere Gewissheit.
 

Nader und Simin - Eine Trennung (2011)

Simin ist schuld. Hätte die junge Iranerin (Leila Hatami) nicht die Trennung von ihrem Ehemann Nader (Peyman Moadi) gefordert, hätte er für seinen an Alzheimer erkrankten Vater (Ali-Asghar Shahbazi) keine Pflegerin einstellen müssen. Dann wäre es nicht zum Streit zwischen Razieh (Sareh Bayat) und Nader gekommen und die Mutter der kleinen Somayeh (Kimia Hosseini) und ihr Mann Hodyat (Shahab Hosseini) hätten nicht Anzeige erstattet.

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Meinungen

Hubi · 02.09.2011

Man kann lernen und verstehen, wie die Religion in das islamische Leben eingreift. Diese Gesellschaft macht sich zwar das Leben bei Konflikten aus unserer europäischen Sicht schwer, aber es erscheint mir irgendwie ehrlicher. Wirklich sehr schön im Film herausgearbeitet.

e.gen · 09.08.2011

Teilweise beängstigend realistisch, wird aus zänkischer Ödnis und idealistischem Edelmut ein ergreifend auswegloses Spiel. Nicht immer angenehm aber mitreißend.

Gemmifer · 24.07.2011

Das Tradition und Moderne nicht vereint werden können halte ich für eine dumme und falsche Botschaft...

Marlene Brinkmann · 22.07.2011

Interessant und spannend.

Jan · 19.07.2011

Wirklich ein Meisterwerk.

Brudereck Antje · 17.05.2011

Ein wahres Meisterwerk, super Atmosphäre!!!