My Winnipeg

Eine Filmkritik von Christian Horn

Schlafwandeln im Schnee

Winnipeg, Winnipeg, Winnipeg. Immer wieder spricht Guy Maddin diese Worte wie ein Mantra aus dem Off, erschöpft, wehmütig, gleichmäßig. Winnipeg, beinahe im geografischen Zentrum Nordamerikas gelegen, ist die Heimatstadt des kanadischen Regisseurs, der Ort, an dem er fünfzig Jahre seines Lebens verbracht hat und den er nun wie den Schoß seiner Mutter verlassen will. Guy Maddin selbst nennt My Winnipeg eine „Docu Fantasia“. Und in der Tat spielt der in Schwarzweiß gedrehte Film mit Formen des dokumentarischen Films, die Maddin jedoch mit fiktionalen Einschüben und subjektiven Brechungen zu einer assoziativen, audiovisuell berauschenden Pseudo-Dokumentation umformt.
Schenkt man Guy Maddin Glauben, dann haben alle seine Filme einen starken autobiografischen Bezug. In My Winnipeg ist dieser bereits durch die Wahl des Schauplatzes präsent und erfährt eine weitere Verstärkung durch einen Erzählstrang, in dessen Verlauf Maddin Erinnerungen aus seiner Kindheit nachstellt. Dazu verpflichtete er Schauspieler, die seine Familie darstellen, und zeigt diese bei oft alltäglichen Handlungen in seinem Elternhaus, das er für den Film in den damaligen Zustand gebracht hat. Wie bereits in Brand Upon the Brain! spielt die Mutter (dargestellt von Ann Savage) dabei eine zentrale, überlebensgroße Rolle. Daneben besucht Maddin verschiedene Orte Winnipegs, die ihn und die Stadt stark geprägt haben. Er zeigt, teilweise in bearbeiteten Archivaufnahmen und Fotografien, eine neu errichtete Shopping-Mall, ein altes Eishockeystadion während seines Abrisses oder die beiden Flüsse Red River und Assiniboine River, die sich vor den Toren Winnipegs kreuzen und denen Maddin eine mystische Bedeutung für die Eigenarten der Stadt zuschreibt. Aus dem Off kommentiert Maddin diese Bilder mit einer nostalgischen Färbung, wenngleich er an einer Stelle beteuert, sein Blick habe nichts mit Nostalgie zu tun.

Erneut nutzt Guy Maddin eine experimentelle Herangehensweise. Wie fast immer verwendet er die ästhetischen Gestaltungsmittel des Stummfilms und montiert seine überaus artifiziellen Bilder zu einem hochgradig filmischen und essayistischen Konstrukt, einem intensiven „stream of consciousness“. Die oft rasant geschnittenen Bilder überlagern und kommentieren sich, stehen aber immer auch für sich selbst. Wiederholt blitzen Wortfetzen auf, die an die Schrifttafeln der Stummfilmära erinnern, manchmal von Maddins Kommentar aufgegriffen werden, an anderer Stelle aber wieder verschwinden wie die Rennpferde von Winnipeg, die auf der Flucht vor einem Feuer in eiskaltem Wasser erfroren und als groteske Skulpturen den Winter über im zugefrorenen Fluss verblieben.

Am Ende funktioniert My Winnipeg als subjektiver, nachfühlbarer Blick eines Filmemachers auf seine Heimat, wobei ihm zu Gute kommt, dass er im Vergleich zu den anderen Filmen Maddins oft humorvoll und durchgängig unterhaltsam ist. Die Bilder und Worte Guy Maddins bleiben jedenfalls im Betrachter haften: „Sleepwalking, snowy Winnipeg.“

My Winnipeg

Winnipeg, Winnipeg, Winnipeg. Immer wieder spricht Guy Maddin diese Worte wie ein Mantra aus dem Off, erschöpft, wehmütig, gleichmäßig. Winnipeg, beinahe im geografischen Zentrum Nordamerikas gelegen, ist die Heimatstadt des kanadischen Regisseurs, der Ort, an dem er fünfzig Jahre seines Lebens verbracht hat und den er nun wie den Schoß seiner Mutter verlassen will.
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