Mammut

Eine Filmkritik von Tomasz Kurianowicz

"And still they run..."

Zwischen New York, Thailand und den Philippinen ist Lukas Moodyssons Film Mammut angesiedelt und erinnert nicht nur wegen seiner episodischen Struktur an Babel. Auch sonst lässt so manches Detail und mancher dramaturgische Kniff an Alejandro González Iñárritus Meisterwerk denken. Und doch verfolgt der schwedische Regisseur letzten Endes dann doch eine ganz andere Stoßrichtung als sein mexikanischer Kollege.
Der Film Mammut beginnt mit einer Szene, die geradezu danach schreit, auf ihre zweite Bedeutungsebene hin gelesen zu werden: Die junge Mutter Ellen Vidales (Michelle Williams) wacht eines Morgens in einer schmucken New Yorker Designer-Wohnung auf, inmitten teurer Möbel, Lampions und prall gefüllter CD-Regale. In diesem Raum, wo sie von kahlen, roten Backsteinwänden umgeben ist, wie sie in amerikanischen Großstadtwohnungen den Trend angeben, streckt sie lasziv ihr Bein aus der Decke heraus. Sie zeigt ein wenig Haut, um den Ehemann zu Zärtlichkeiten, zu einem Kuss, zum Beischlaf zu motivieren. Doch der in Zeitnot geratene Game-Designer wird von einem bimmelnden High-Tech-Handy daran erinnert, dass ihm jetzt der Sinn danach nicht steht. „Ich habe noch was zu erledigen“, flüstert Leo (Gael García Bernal) seiner Frau ins Ohr, packt seine Sachen und verschwindet. Daraufhin klettert die junge, hübsche Ellen, nachdem sie sich den Schlafsand aus den Augen gerieben hat, auf das Dach des Penthouses hinauf und schaltet, nun im Kapuzenpulli etwas manisch dreinblickend, ein elektronisches Laufrad an. Jetzt, beim Joggen, hat sie die Wolkenkratzer der Stadt, die Opulenz der technologisch hochgerüsteten Moderne fest im Blick. Und im Ohr: die Ipod-Stöpsel.

Der keifende Philosoph Jean Beaudrillard hätte schon hier das erste Vorzeichen für ein vom kapitalistischen Würgeengel bedrohtes Subjekt gesehen. Denn was ist joggen, wenn nicht das Ausschalten des Verstandes und das Einschalten eines Körpers, der im atemlosen Lauf seinen Bezug zur psychischen Identität verliert – mit dem Ziel, sich im Rhythmus des Galopps, in der Unendlichkeit der Bewegung zu verlieren. So wie nicht das Ich über das Aufstehen bestimmt – das tut der Wecker – nicht über Zeit und Ort des Anfangs und Abbruchs gemeinsamer Sexualität – das tut das Telefon –, gerät auch das Joggen selbst im Geknatter des Laufrads zur symptomatischen Verschmelzung von Mensch und Maschine. Und das in New York. In der Finanzmetropole der Welt.

Schon diese Figurenkonstellation deutet an, worum es dem Regisseur Lukas Moodysson im Kern eigentlich geht: Er will eine Art Entfremdung aufzeigen, ein Abdriften von ursprünglichen Glückmomenten hin zu einem sinnlosen Streben nach Macht und Geld. Mammut konzentriert sich in diesem kulturkritischen Sinne auf eine Beziehung, die durch globales Zerbersten von Zusammenhängen einer harten Prüfung unterzogen wird, einer Prüfung, die vermutlich nur in einer privilegierten Gesellschaftsschicht derart brachial stattfinden kann. Ellen ist Ärztin, will unabhängig sein, kämpft sich im New Yorker Alltag durch, während Leo die dicke Kohle verdient und mit Freunden nach Thailand zu einem Business-Trip reist. Als Bindeglied dient – im wortwörtlichen Sinne – die asiatische Haushälterin Gloria (Marife Necesito), deren Aufgabe es ist, auf die Tochter der Familie Jackie aufzupassen, indes alle anderen Familienmitglieder ihrer Karriere hinterherjagen. Gloria behandelt das Mädchen wie ihren eigenen Zögling; ihre wirklichen Kinder befinden sich derweil in der Heimat, in Thailand, wo sie auf das hart verdiente Geld der Mutter angewiesen sind. Diese Überlappung der Biographien und dem Hin-und-Her-Pendeln zwischen Amerika und Asien führt zum Kontrasteffekt des Films, der auf einigen Kino-Websites den etwas schiefen Vergleich angestoßen hat, Mammut verfolge ein ähnlich gesellschaftskritisches Ziel wie der vielfach prämierte Film Babel. Ein Vergleich, der sicherlich nicht ganz gerechtfertigt ist, da anders als Moodyssons direkte Gegenüberstellung zwischen Erster und Dritter Welt Alejandro González Iñárritus phantastisches Meisterwerk viel enigmatischer und offener mit seiner Thematik umzugehen versteht – und vielleicht darum auch letztlich überzeugender.

Das heißt, dass sich Moodysson niemals subtil an seine Figuren heranpirscht, niemals tastend die Kamera bewegt, sondern völlig unumwunden globalisierungskritische Gestik ins Zentrum seiner Erzählung setzt. Es geht um den krassen Kontrast zwischen einer immer mehr in den Sumpf substanzloser Traurigkeit eintauchenden Familie, die paradoxerweise in materieller Hinsicht wunschlos glücklich ist, auf emotionaler Ebene allerdings das sinngebende Ganze – die Tochter, die Beziehung, gegenseitig kommunizierte Liebe – aus den Augen verliert. Und im Gegenzug dazu steht die Welt in Thailand, der Kosmos einer Gesellschaft, die sich prostituiert, um das nicht eingelöste Versprechen gescheiterter Existenzen mit verkauftem Sex, dem Gefühl von Abenteuer und exzesshaftem Rausch aufzufangen und auszugleichen. Leo ist genau dort angelangt. Er trifft eine bildschöne Thailänderin in einer Bar, lässt sich bezirzen und umgarnen, bis er der Versuchung nach dem außerordentlichen und fehlenden Element in seinem trist vorbeirauschenden Leben nachgibt. Währenddessen muss Gloria, seine Haushälterin, in New York, mehrere Tausend Kilometer weit entfernt, den schweren Unfall ihres Sohnes verschmerzen, der sie aus ihrer geordneten Unterschichtenwelt hinauskatapultiert zurück in die Heimat ans Krankenbett des Sohnes.

Mammut darf sich mit einem phantastischen Soundtrack – unter anderem mit Musik von Cat Power – schmücken, mit still in sich ruhenden Bildern, die wunderbar zwischen Melancholie und emotionaler Drastik balancieren. Man schaut gerne und gerührt auf die Leinwand, auch wenn die Tiefe, die man sich angesichts dieses komplexen Themas gewünscht hätte, nicht immer eingelöst wird. Vielleicht geht es nicht anders, wenn man ein so ambitioniertes Projekt, das auf einen radikalen „clash of culture“ hinausläuft, so enervierend umsetzen will, wie es dieser allseits engagiert gegen die Ungerechtigkeit der Welt vorgehende Regisseur tut. Vielleicht muss man schlicht die Drastik der sich glatt auflösenden Handlung nicht nur akzeptieren, sondern tolerieren, ja vielmehr noch: mit größtem Respekt behandeln. In der heimlichen Hoffnung, dass es nützt.

Mammut

Zwischen New York, Thailand und den Philippinen ist Lukas Moodyssons Film „Mammut“ angesiedelt und erinnert nicht nur wegen seiner episodischen Struktur an „Babel“. Auch sonst lässt so manches Detail und mancher dramaturgische Kniff an Alejandro González Iñárritus Meisterwerk denken. Und doch verfolgt der schwedische Regisseur letzten Endes dann doch eine ganz andere Stoßrichtung als sein mexikanischer Kollege.
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Meinungen

Cineata · 06.12.2019

Gloria das Kindermädchen ist aus den Philippinen und somit spielt der Erzählstrang rund um ihre Kinder in den Philippinen nicht in Thailand.

myriam · 20.06.2010

aber der Film klingt wirklich ausgesprochen interessant, danke für den Tipp :)

myriam · 20.06.2010

"mit einem phantastischen Soundtreck".. neue Rechtschreibung? ;)