Madame Christine und ihre unerwarteten Gäste

Eine Filmkritik von Falk Straub

Volles Haus, geteiltes Glück

Alexandra Leclères Madame Christine und ihre unerwarteten Gäste kam spät in die deutschen Kinos. Vielleicht musste Willkommen bei den Hartmanns zuerst beweisen, dass Komödien über heikle politische Themen auch in Deutschland ein Publikum finden. Leclère wirbelt in ihrer Sozialutopie mit Karin Viard und Valérie Bonneton gleich ein ganzes Pariser Wohnhaus durcheinander.
Die zunehmende Ungleichheit der Gesellschaft hinterlässt nicht nur im Drama ihre Spuren. Schließlich bieten die Gegensätze zwischen Reich und Arm, zwischen Staatsbürgern und Einwanderern genügend Diskrepanz für Lacher. In Alexandra Leclères jüngster Komödie prallen diese beiden Parteien in einem frostigen Pariser Winter aufeinander. Weil die Temperaturen ungeahnte Tiefen, die Wohnungsnot hingegen eine Rekordhöhe erreicht, quartiert die sozialistische Regierung Menschen ohne Bleibe kurzerhand bei solchen mit zu viel Platz ein. Doch nicht nur Not, auch die angedrohten Untermieter machen erfinderisch.

Pierre Dubreuil (Didier Bourdon), der mit seiner Frau Christine (Karin Viard) und Tochter Audrey (Pauline Vaubaillon) in der prachtvollen Rue du Cherche-Midi auf schlappen 300 Quadratmetern haust, treibt das Vorhaben der Regierung, zumal einer, die er nicht gewählt hat, zu kreativen Höchstleistungen. Erst holt er seine Mutter (Michèle Moretti) aus dem Altenheim zurück in den familiären Schoß, dann bezahlt er seiner Haushälterin (Firmine Richard) ein Schweigegeld, wenn sie vorübergehend bei ihm einzieht. Was bei den erzkonservativen Dubreuils nicht verwundert, spielt sich aber auch bei deren linksliberalen Nachbarn ab. Während der Schriftsteller Grégory Bretzel (Michel Vuillermoz) seine Ideale nicht verraten und jemanden aufnehmen will, hat sich dessen Frau Béatrice (großartig: Valérie Bonneton) in der Mittelschicht bereits häuslich eingerichtet. Zwar geht sie fleißig demonstrieren und doziert an der Universität über soziale Gerechtigkeit, in ihren vier Wänden hätte sie aber lieber ihre Ruhe. Doch alle Tricks helfen nichts, am Ende kommen die beiden Familien, die seit Jahren in einem herrlich süffisanten Dauerclinch liegen, nicht um ihre ungebetenen Gäste herum. Fortan ist das große Teilen angesagt, das der Film in seinem Originaltitel trägt und das den Kern dieser Komödie besser trifft als ihr irreführender deutscher Name.

Die Prämisse, die uns die Drehbuchautorin und Regisseurin Alexandra Leclère (Zwei ungleiche Schwestern, Maman) unterjubelt, wirkt auf den ersten Blick ziemlich utopisch. In Zeiten, in denen die Politiker deutscher Großstädte mit Bußgeldern gegen die Besitzer leerstehender oder zweckentfremdeter Wohnungen vorgehen, scheint die Idee auf den zweiten Blick gar nicht mehr so weit von der Realität entfernt. Leclère inszeniert ihren Klassenkampf als beständiges Kommen und Gehen, treppauf, treppab zwischen Tür und Angel. Ihre Hausgemeinschaft bildet ganz klassisch einen Querschnitt durch die französische Gesellschaft. Die politische Gesinnung der Bewohner lässt sich bereits an deren Zeitungslektüre ablesen. Neben den konservativen Dubreuils und den pseudo-linken Bretzels gibt es den exzentrischen Nachbarn (Patrick Chesnais), der sich darauf freut, dass endlich Leben in die Bude kommt. Ganz unten betreibt die stramm rechte Hausmeisterin (Josiane Balasko) eine Tauschbörse, um unliebsame Mitbewohner wieder loszuwerden. Und ein betagtes, jüdisches Ehepaar (Anne Bourguignon, Jackie Berroyer) aus dem obersten Stock zieht gleich ganz aus und kommentiert die Ereignisse fortan wie Waldorf und Statler von der anderen Straßenseite aus einer winzigen Einzimmerwohnung.

Philippe Rombis flotte Musik treibt Handlung und Kamera voran, die schon einmal beängstigend schwankt, wenn beängstigende Nachrichten verkündet werden. Trotz der doch arg schablonenhaften Charaktere sitzen die Gags erstaunlich gut, was am großartigen Ensemble und nicht zuletzt am – ob des hohen Tempos – beeindruckenden Timing liegt. Das Tempo wiederum fegt über so manche Drehbuchschwäche hinweg. Einige Dialoge sind nur schlecht kaschiert und etwas ungelenk dargeboten als Lehrstunde in Politik, Ökonomie und Sozialkunde zu erkennen. Zwischen all dem Gewusel im Haus gehen aber vor allem die Neuankömmlinge unter.

Vom Schicksal der Einquartierten erfahren wir so gut wie gar nichts. Sie sind lediglich Erfüllungsgehilfen, um die Alteingesessenen zu läutern. Deren Wandlung hält aber nur so lange wie das schlechte Wetter an. Mit den ersten Sonnenstrahlen und dem ersten Sommerwind sind auch all die gelebte Gleichheit und Brüderlichkeit verflogen. Einzig auf die Obdachlose Madeleine (Sandra Zidani) wirft der Film noch einmal einen Blick. Es ist bezeichnend, dass es gerade eine weiße Französin ist und nicht etwa die farbige Krankenschwester Aïssa (Priscilla Adade) oder die malische Putzfrau Nassifa (Marie-Philomène Nga ), von der die Komödie mehr erzählt und die den sozialen Aufstieg schafft. Das mag zwar durchaus realistisch sein. Bei solch einer Prämisse hätte dann aber ruhig auch das Ende ein wenig utopischer ausfallen dürfen.

Madame Christine und ihre unerwarteten Gäste

Alexandra Leclères „Madame Christine und ihre unerwarteten Gäste“ kam spät in die deutschen Kinos. Vielleicht musste „Willkommen bei den Hartmanns“ zuerst beweisen, dass Komödien über heikle politische Themen auch in Deutschland ein Publikum finden. Leclère wirbelt in ihrer Sozialutopie mit Karin Viard und Valérie Bonneton gleich ein ganzes Pariser Wohnhaus durcheinander.
  • Trailer
  • Bilder

Meinungen

Sascha · 01.03.2017

ganz okay, aber mehr nicht.