Lost Town

Eine Filmkritik von Silvy Pommerenke

Eine Idee wartet darauf, umgesetzt zu werden

Für die zwei deutschen Nachwuchsarchitekten Anne Niemann und Johannes Ingrisch könnte die Karriere nicht besser starten, denn direkt nach dem Studium gewinnen sie einen internationalen Ideenwettbewerb. Allerdings haben sie nicht mit den eigenwilligen Bewohnern der Ostküste Englands gerechnet, wo ihr architektonisches Denkmal als Wahrzeichen gegen die Küstenerosion errichtet werden soll. Jörg Adolph begleitet die beiden über fünf Jahre lang bei ihrem scheinbar aussichtslosen Kampf.
Ein Traum wird wahr: Mehr als 200 Konkurrenten stechen Anne Niemann und Johannes Ingrisch 2004 bei dem Wettbewerb des Landmark East aus, der von der East of England Development Agency (EEDA) ausgeschrieben wurde. Der strukturschwachen und vor allem von Küstenerosion bedrohten Gegend soll ein Wahrzeichen gesetzt werden, um an untergegangene Orte zu erinnern. Asketisch schlicht und dennoch beeindruckend entwerfen die Jungarchitekten eine stilisierte Kirche aus verspiegelten Stahlröhren, so dass, je nach Sonnenlichteinfall und Standpunkt des Betrachters, das Wahrzeichen ganz unterschiedlich wahrgenommen wird. Die ungewöhnliche Idee der beiden besteht unter anderem darin, dass sie ihre Kathedrale exakt an der Stelle aufbauen wollen, wo die mittelalterliche Kirche stand. Aufgrund der Küstenerosion heißt das, mitten im Meer. Voller Enthusiasmus brechen Anne und Johannes auf, um ihr Projekt den Küstenbewohnern vorzustellen, denn der Gewinn des Wettbewerbs bedeutet lediglich, dass sie von der EEDA eine Machbarkeitsstudie finanziert bekommen. So müssen nun der richtige Ort, die Zustimmung der Bewohner und nicht zuletzt die Gelder für die Umsetzung des Projektes eingeholt werden. Aber die Küstenbewohner sehen die Architekten als fremde Eindringlinge, die durch den Bau der Kathedrale die hiesige Ruhe und Ordnung stören. Somit wird ihr Vorhaben in der Gemeinde Dunwich niederschmetternd abgelehnt. Die Enttäuschung steht den beiden Deutschen ins Gesicht geschrieben, aber sie geben nicht auf. Walton-on-the-Naze ist ihr nächster Versuch, einer Gemeinde ihr Projekt schmackhaft zu machen. Aber auch dort stoßen sie auf Ablehnung, wenngleich sich hier auch Befürworter zeigen, die sich einen wirtschaftlichen und touristischen Erfolg durch das Wahrzeichen versprechen. Ähnlich wie der „Angel of the North“, der in Gateshead Touristen in Scharen anlockt. Nachdem die beiden endlich ein maßgeschneidertes Finanzierungsmodell in CABE (Commission for Architecture and the Built Environment) gefunden haben, kommt es allerdings wieder zu einer Absage. Das Erschütternde daran ist, dass sich ausgerechnet die EEDA dagegen stellt, da die Regierung deren Etat drastisch gekürzt hat. Trotz alledem lassen sich die beiden auch fünf Jahre nach dem Ideenwettbewerb nicht von ihrer Idee abbringen, die nur noch darauf wartet, umgesetzt zu werden.

Die Langzeitstudie von Jörg Adolph zeigt, dass ein gewonnener Wettbewerb noch lange nicht den ersehnten Aufstieg in die oberste Architekturliga mit sich bringt, und dass weltberühmte Architekten wie Jeanne-Claude und Christo mit ähnlichen Schwierigkeiten zu kämpfen hatten. Ein Grund mehr für die beiden Münchener, den Kampf für ihr Projekt und die Hoffnung nicht aufzugeben. Jörg Adolph zeigt aber auch, dass der größte Idealismus an so alltäglichen Problemen wie wirtschaftliches Überleben und Familiengründung scheitern kann. Lost Town ist mehr als der Einblick in den Architektenalltag, denn er zeigt die Euphorie von Berufsanfängern, die mutige Idee von zwei kreativen Köpfen und das hartnäckige wenn nicht gar trotzige Bemühen, etwas ganz Großes zustande zu bringen. Und nicht zuletzt zeigt er ein eigenwilliges britisches Küstenvolk, das bisweilen noch im letzten Jahrhundert zu leben scheint und Neuerungen per se kritisch gegenüber eingestellt ist. An ihm werden sich letztendlich Anne Niemann und Johannes Ingrisch die Zähne ausbeißen, auch an den Sparmaßnahmen, denen die EEDA unterlegen ist, und so stimmt es am Ende des Filmes ein wenig traurig, wenn man den beiden deutschen Architekten dabei zusieht, wie sie ihr Modell dem Reißwolf übergeben. Aber bekanntlich stirbt ja die Hoffnung zuletzt, und wer weiß, vielleicht findet sich ja doch noch ein Finanzier, der dem Millionenprojekt hilft, Realität zu werden.

Lost Town

Für die zwei deutschen Nachwuchsarchitekten Anne Niemann und Johannes Ingrisch könnte die Karriere nicht besser starten, denn direkt nach dem Studium gewinnen sie einen internationalen Ideenwettbewerb. Allerdings haben sie nicht mit den eigenwilligen Bewohnern der Ostküste Englands gerechnet, wo ihr architektonisches Denkmal als Wahrzeichen gegen die Küstenerosion errichtet werden soll.
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