Lilting (2014)

Eine Filmkritik von Gregor Ries

Die Kunst der Verständigung

In seinem Spielfilmdebüt setzt sich Hong Khaou mit der Kompensation von Verlust, kulturellen Differenzen und Generationskonflikten auseinander. Im Grunde handelt es sich bei Lilting um ein Kammerspiel mit sechs Personen, dessen Vorgeschichte man erst allmählich anhand von Rückblenden und imaginären Gesprächen erfährt. Neben der Kunst der fließenden Szenenübergänge und einer Balance aus Drama und Humor kann sich Khaou ganz auf die darstellerischen Leistungen seiner zurückhaltend agierenden Schauspieler verlassen.

Dass Kai (Andrew Leung) nicht mehr am Leben ist, wird erst langsam deutlich, als sich ein Dialog mit seiner chinesisch-kambodschanischen Mutter (Pei-pei Cheng) als ihr Wunschgedanke entpuppt. Die alte Dame verzieh ihrem Sohn nie wirklich, dass er sie in einem Seniorenheim untergebracht hat. Hauptsächlich gibt sie dafür dessen Lebenspartner Richard (Ben Wishaw) die Schuld. Ob sie wirklich nicht wusste, dass Kai schwul war, lässt der Film letztlich offen.

Obwohl Junn schon seit 40 Jahren in England lebt, beherrscht sie die Sprache kaum. Selbst mit ihrem Freund Alan (Peter Bowles) aus dem Heim kommuniziert sie lediglich per Berührungen und Blicke. Als Richard mit der einsamen Seniorin Kontakt aufnehmen will, gewinnt er zunächst die Unterstützung der jungen Übersetzerin Vann (Naomi Christie). Doch auch mit ihrer Hilfe erweist sich das mehrfache Zusammentreffen zwischen den beiden einander fremden Menschen als problematisch.

Obwohl er düstere Themen wie Tod und Trauerbewältigung anschneidet, baut Regisseur und Autor Khaou auf einen melancholischen Tonfall samt komödiantischer Momente. Eher selten erfolgen Gefühlsausbrüche beim langsamen Abtasten zweier Menschen aus unterschiedlichen Kulturen. Obwohl wenig an äußerer Handlung geschieht, gelingt es Khaou stets, die innere Spannung in einem Feld aus Annäherung und Ablehnung zu halten.

Dabei mag nicht jede Wendung völlig glaubwürdig erscheinen: Dass Richard etwa Junns Ankunft in seiner Wohnung vergisst, auf die er lange hinarbeitete, wirkt etwas aufgesetzt. Dieser Umstand dient lediglich dazu, humorvolle und dramatische Details wie das rasche Entfernen von Fotos einzubauen. Weitaus stimmig fiel jedoch die Inszenierung mit schwebenden Übergängen von Traum und Realität aus, wodurch das Abschweifen der Gedanken unterstrichen wird.

Zu den Stärken von Lilting gehört ein wohltuend verhaltener Score und das überzeugende Ensemble. Neben der sympathischen Newcomerin Naomi Christie als mitunter die Initiative ergreifende Übersetzerin und TV-Altstar Peter Bowles (The Avengers, Blow Up) als liebessüchtiger Rentner glänzt Ben Wishaw als unsicherer, aber in seinen Intentionen gefestigter Intellektueller. Martial Arts-Fans mag Cheng Pei-pei als Amazone in King Hus Klassiker Come Drink with Me (Das Schwert der gelben Tigerin) von 1966 und dessen Fortsetzung Golden Swallow ein Begriff sein. Nach vielen Nebenrollen kann sie sich mit einer Performance zwischen Verschlossenheit, Eifersucht und tastender Neugier als Charakterdarstellerin profilieren. Am Ende des Culture Clash-Dramas verständigen sich die beiden Protagonisten ohne Übersetzerin in ihrer jeweiligen Sprache – eine weitere Sequenz, die ohne Sentimentalitäten eine emotionale Dichte erzeugen kann.
 

Lilting (2014)

In seinem Spielfilmdebüt setzt sich Hong Khaou mit der Kompensation von Verlust, kulturellen Differenzen und Generationskonflikten auseinander. Im Grunde handelt es sich bei „Lilting“ um ein Kammerspiel mit sechs Personen, dessen Vorgeschichte man erst allmählich anhand von Rückblenden und imaginären Gesprächen erfährt. Neben der Kunst der fließenden Szenenübergänge und einer Balance aus Drama und Humor kann sich Khaou ganz auf die darstellerischen Leistungen seiner zurückhaltend agierenden Schauspieler verlassen.

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